Flusslandschaft 2024

Umwelt

1980 kritisierten Subrealisten das aktuell sich ausbreitende »ökologische Denken«. 2024 ergänzen sie ihre Position: Das ökologische Akkumulationsregime beruhe auf der Trennung zwischen Mensch und Natur, auf Kolonialisierung, Vermessung, Ausbeutung. Die Ökologie fungiere als Wissenschaft von der Unterwerfung der Welt, als kapitalistischer Zugriff auf die Natur als kosten-
lose Reserve, als Motor der Modernisierung des Kapitalismus. Die damit ausgelösten Krisen aber solle der Staat einhegen.1

Bäuerinnen und Bauern demonstrieren deutschlandweit erfolgreich in der Woche vom 8. bis 13. Januar. Sie blockieren mit ihren Traktoren Autobahnen und Innenstädte, ohne dafür „kriminali-
siert“ zu werden. Im Gegenteil: Politikerinnen und Politiker zeigen großes Verständnis für die Landwirte. Die Bundesregierung knickt ein. Daraufhin protestieren Klimaaktivisten „jetzt auch mit Traktoren“, entweder als ausgedruckte Bilder oder gemalt auf Plakaten, in Form von maßstabsge-
treuen Modellen oder als Kinderspielzeug. Auf mitgeführten Plakaten heißt es am Mittwochnach-
mittag, 10. Januar, auf der blockierten Sonnenstraße: „Wir dürfen das! Wir haben einen Traktor!“ und „Hört auf uns, wir haben Traktoren!“ Der Münchner Aktivist Wolfgang Metzeler-Kick: „Das Kräfteverhältnis vor Ort ist entscheidend.“ Große Reifen und Maschinen seien eben angsteinflö-
ßender als sitzende Menschen. „Wir sind in unserem Protest bei weitem friedlicher als die Land-
wirte.“ Es zeigt sich, wie effektiv sich die einen Gehör verschaffen können, ohne persönliche Risi-
ken einzugehen. Auf einigen ihrer Schilder sind Galgen gezeichnet, an denen eine Ampel hängt. Und sie beeinträchtigen den Verkehr im öffentlichen Raum, ohne dass sie als Terroristen, Verbre-
cher oder Chaoten beschimpft werden. Auch kommt es weder zu Hausdurchsuchungen noch zu Präventivhaft, wie bei den anderen.

Trotz eines deutlichen Bürgerentscheids, der ein klares Signal gegen die Fortführung fossiler Brennstoffe und für eine nachhaltige Energiepolitik setzte, haben die Stadtwerke München (SWM) beschlossen, das von Steinkohle betriebene Heizkraftwerk in ein Gas betriebenes Kraftwerk umzu-
stellen. Am 28. Februar machen AktivistInnen von Extinction Rebellion mit einer morgendlichen Aktion auf die Klimakatastrophe aufmerksam, die durch die Entscheidungen des Stadtrats und der SWM noch verschärft wird. Dazu tauschen die die Titelblätter der stummen Verkäufer der Tages-
zeitungen tz und AZ aus. Hier ist jetzt zu lesen: „Vollgas für Erdwärme. Aus für Heizkraftwerk: »Klimaneutral bis 2030«“

Freitag, 1. März, 12 Uhr: Klimastreik auf dem Odeonsplatz für einen „attraktiven, bezahlbaren und barrierefreien Nahverkehr“2

Über Jahre hat die Regierung von Oberbayern mit Rückendeckung der bayrischen Staatsregierung Maßnahmen, die Luftqualität in München zu verbessern, systematisch torpediert. Akten mit etwa 150.000 Seiten, die sich auf den Zeitraum September 2016 bis Oktober 2019 beziehen und deren Herausgabe die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erstritten hat, belegen, dass die politischen Ent-
scheider dabei auch rechtskräftige Gerichtsurteile ignorierten. Am 13. März informiert darüber die DUH die Öffentlichkeit. Der DHU-Bundesgeschäftsführer: „Das jahrelange rechtswidrige Verhal-
ten der Bayerischen Staatsregierung ist beispiellos.“3

Die Letzte Generation hat sich darauf verständigt, sich nicht mehr auf den Straßen festkleben zu wollen. Vielmehr will sie im „Widerstandsfrühling“ auf „ungehorsame Versammlungen“ setzen, auf Blockaden durch größere Menschenmengen auf Gehwegen und Straßen. 80 FahrradfahrerInnen treffen sich am Samstag, 16. März, um 11 Uhr auf dem Odeonsplatz und fahren eine Viertelstunde später vom Odeonsplatz aus über den Altstadtring und die Erhardtstraße zum Gärtnerplatz. Dort treffen sie um 12 Uhr auf 50 Demonstranten und Demonstrantinnen. Deren Kundgebung dauert bis 14.20 Uhr. Die „ungehorsamen Versammlungen“ stehen unter dem Motto „Demokratie braucht Ehrlichkeit“. Lina Johnsen, Sprecherin der Letzten Generation: „Unsere neue Strategie geht voll auf! Wir haben gerade viel Rückenwind und es sind viele neue Menschen dazu gekommen, die mit uns gemeinsam Widerstand leisten! Ich glaube, der Wunsch nach mehr Ehrlichkeit und Gerechtig-
keit bewegt die Menschen gerade sehr!“4

Das Bayrische Bündnis für eine gentechnikfreie Natur und Landwirtschaft sowie Zivilcourage gg. Agrogentechnik in Bayern und anderswo laden zum Vortrag des brasilianischen Professors Anto-
nio Andrioli zum Thema „Gentechnik – die patentierte Zerstörung“ am Montag, 18. März, 18.30 Uhr in der Katholischen Akademie ein. Er schildert, wie brasilianische Bauern nach 30 Jahren Genanbau zum konventionellen Anbau zurückkehren. Sie haben die Abhängigkeit von Fremdsaat-
gut und Pestiziden satt. Und er fragt: Wo Brasilien aussteigt – steigt Europa ein?

Die DUH wirft am 19. April dem Münchner OB vor, das Urteil des Bayerischen Verwaltungsge-
richtshofs zur Ausweitung der Diesel-Fahrverbote zu ignorieren. Die DUH kritisiert Reiters Pläne als „vorsätzlichen Rechtsbruch“. Eigentlich hätte das Dieselfahrverbot ab Oktober 2023 auch auf Dieselfahrzeuge der Abgasnorm Euro 5 ausgeweitet werden sollen, ab April 2024 sollten als letzter Schritt noch die allgemeinen Ausnahmen entfallen. Doch der Stadtrat hatte im September 2023 die zweite Stufe vorerst bis Mai ausgesetzt und die dritte Stufe ganz aufgehoben. Dagegen hatten die DUH und der Verkehrsclub Deutschland geklagt und vor Gericht Recht bekommen.

Die Radsternfahrt führt mit 15 Zügen und 3.500 Teilnehmern am Sonntag, 21. April, wieder über die Autobahn A95 zum Königsplatz. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) fordert, dass die Umsetzung des Radentscheid München, der vor fünf Jahren durchgesetzt wurde, endlich auf die Straße kommt. Er ruft zur „RADvolution“ auf, damit in der Landeshauptstadt und im Land-
kreis sowie der gesamten Metropolregion die Radfahrenden endlich sicher und zügig unterwegs sein können. „Die Infrastruktur dafür muss jetzt gebaut werden!“5

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Am Samstag, 4. Mai, fährt um 13 Uhr ein Korso von etwa 100 Fahrrädern vom Max-Joseph-Platz zur Ludwigstrasse. Auf Schildern ist zu lesen, wohin die Regierung die jährlichen Milliarden-Sub-
ventionen eigentlich stecken sollte: Radwege, Bildung, Soziale Projekte, Gesundheitswesen, Kin-
dergrundsicherung, energetische Sanierung öffentlicher Gebäude. Stattdessen werden Flugreisen mit ca. 8,4 Mrd. €uro und Dienstwagen von Besserverdienern mit ca. 4,3 Mrd. €uro pro Jahr ge-
fördert. Insgesamt belaufen sich die jährlichen Subventionen von Kohle, Öl und Gas auf mindes-
tens 48 Mrd. €uro. In der Ludwigstraße vor der Uni blockieren ab 14 Uhr mehrere Dutzend Men-
schen in einer »ungehorsamen« Kundgebung den Autoverkehr; 20 Personen werden von Polizis-
ten von der Straße getragen und angezeigt.

Am Samstag, 18. Mai, kleben sich zu Beginn der Pfingstferien sechs KlimaschutzaktivistInnen der Letzten Generation neben die Lande- und Startbahnen des Münchner Flughafens fest. Ihr Anlie-
gen: Der Flugverkehr mache knapp zehn Prozent der deutschen Verantwortung für die Erderhit-
zung aus, die Flugbranche werde durch den Verzicht auf Kerosin- und Mehrwertsteuer vom Staat subventioniert, wo bleibe da die Politik! CSU-Generalsekretär Martin Huber fordert: „Volle Härte des Rechtsstaats gegenüber diesen Klima-Chaoten.“7

Mittwoch, 22. Mai: Am Tag der Artenvielfalt sorgen Aktivisten von Greenpeace, Extinction Rebel-
lion
und der Letzten Generation für Aufsehen. Dutzende Menschen ziehen schwarz bekleidet vom Sendlinger Tor in Richtung Odeonsplatz. Angeführt wird der Trauermarsch von einem auf Schul-
tern getragenen Sarg, mit dem sie auf das Aussterben vieler Arten hinweisen. Auf dem Odeonsplatz wird ein „Die-In“ von Trommeln begleitet.

Umweltaktivisten von Extinction Rebellion färben am Donnerstag, 23. Mai, das Wasser von zehn Brunnen, darunter den Wittelsbacher Brunnen am Lenbachplatz und den Brunnen an der Frauen-
kirche, in grellem Grün. Sie machen damit auf das Insektensterben aufmerksam und protestieren gegen die Umweltpolitik der bayrischen Staatsregierung. Man habe, so die Rebellen, das harmlose und umweltverträgliche Uranin als Farbstoff verwendet. Der Fluoreszenzfarbstoff werde sonst unter anderem bei Leckortungen oder zur Markierung von Gewässern eingesetzt. Enten schwim-
men unbeeindruckt in den leuchtend grünen Brunnen. „Wir wollen unser schönes Bayern mit seinem ausgezeichneten Bier und seinen hochwertigen Landwirtschaftserzeugnissen nämlich so beibehalten, wie wir es gewohnt sind und lieben … Es sind nicht nur Insekten, die sterben. Die fehlenden Insekten und die durch die Klimakrise zunehmenden Hitze- und Dürreperioden sind schlecht für den Hopfen. Somit ist leider auch Bayerns Bier gefährdet! Und das wäre echt ein Verlust für die Welt und mein Wochenende“, warnt Pressesprecher Martin Ulm.

Freitag, 31. Mai, Königsplatz, 14 Uhr: Klimastreik, Motto eine Woche vor der Europawahl: „Demo-
kratie braucht Klimaschutz und Klimaschutz braucht Demokratie“ Es regnet in Strömen. Statt der erwarteten 8.000 sind nur 2.000 Menschen gekommen.

Rund ein Dutzend Klimaaktivisten blockieren aus Solidarität mit dem bayrischen Klimaaktivisten Wolfgang Metzeler-Kick am Mittwochnachmittag des 5. Juni den Autoverkehr am Stachus. Dieser befindet sich bei der Kampagne „Hungern bis ihr ehrlich seid“ seit Anfang März aus Protest gegen die Klimapolitik der Bundesregierung im Hungerstreik. Teilnehmer der Aktion am Stachus stellen sich dabei den Autofahrern immer wieder in den Weg, um sie aufzuhalten. Einige quittieren dies mit lautem Hupen.

Das Umweltinstitut München findet es empörend, dass die EU-Kommission sich weigert, die für weitere zehn Jahre geltende Genehmigung des gefährlichen Ackergifts Glyphosat in der EU zu überprüfen. Anfang Juli beschließen die Aktivistinnen und Aktivisten vor Gericht zu ziehen.

Critical Mass trifft sich jeden letzten Freitag im Monat um 18 Uhr am Max-Joseph-Platz vor der Oper und fährt dann im Pulk um 18.30 Uhr los.8

20. Juli: 500 Radlerinnen und Radler fahren um 14 Uhr auf der „Tour de Klima“ vom Max-Joseph-Platz Richtung Stachus. 18 verschiedenen Klimaschutzorganisationen haben zum Protest aufgeru-
fen: „In München selbst werden Präventionsmaßnahmen gegen die verkehrsbelastete Luft sehr zögerlich bis gar nicht umgesetzt.“ Ferner kritisieren die Klimaaktivisten das Fortbestehen der Automesse IAA. Die Aussteller hätten auch im Jahr 2025 „wenig Zukunftsweisendes“ zu bieten.

Mitglieder der Letzten Generation hatten am 8. September 2023 den Verkehr vor der Ludwig-Maximilians-Universität blockiert, um gegen die Internationale Automobilausstellung zu pro-
testieren. MusikerInnen der Aktionsgruppe Lebenslaute hatten die Aktion musikalisch begleitet, ohne selbst zu behindern. Für ihr „Musizieren auf einer Verkehrsinsel“ erhielten sie jeweils Buß-
geldbescheide über 130 €uro. Wären sie ein Auto – die beanspruchte Fläche der sechs Musizie-
renden war vergleichbar mit einem Parkplatz – müssten sie statt 780 €uro lediglich 55 €uro be-
zahlen. – 2. August 2024, 12 Uhr, Amtsgericht München, Raum 232: Das Verfahren gegen eine Fagottistin von Lebenslaute endet mit einer Einstellung.9

Das Landgericht München I weist die von zwei Journalisten eingereichten Beschwerden gegen das heimliche Abhören des Pressetelefons der Letzten Generation zurück.10

Am 14. August protestieren sechs Mitglieder der Letzten Generation am Flughafen München gegen den Einsatz von Öl und Kerosin. Die Umweltaktivisten halten im Terminal unter anderem ein gro-
ßes Banner mit der Aufschrift „Öl, Gas und Kerosin treibt die Welt in den Ruin“ hoch.

Samstag, 31. August, 12 Uhr: Ganze 24 Stunden wollen Aktivisten der Letzten Generation unter dem Motto „Let’s hit the road“ die Prielmayerstraße besetzen. Die Polizei ist auf den Protest vorbe-
reitet und hat Sperren errichtet. Die Verkehrsbehinderungen bleiben minimal.

Fridays for Future hat für Freitag, 20. September um 12 Uhr, dazu aufgerufen, am „globalen Kli-
mastreik“ teilzunehmen. In ganz Bayern gehen Menschen auf die Straße: in Würzburg und Regens-
burg, Passau und Landshut, Bamberg und Forchheim, Nördlingen, Augsburg und Kempten. Rund 2.500 Demonstrierende versammeln sich am Königsplatz.

»Revellion – Zwischen Rebellion und Revolution«: Stefan Hilden hat in letzter Zeit Aktionen der Extinction Rebellion sowie anderer Protestgruppen fotografisch begleitet. Eine Ausstellung seiner Werke ist, ergänzt durch zahlreiche Requisiten von Protesten, vom 3. bis zum 10. Oktober im FatCat | ehem. Gasteig | Foyer Carl-Orff-Saal zu sehen.

»alles was diese menschliche hirn am ende zurückgelassen haben wird: plastiktüten!« Jessica di Rovereto — »während bei uns pro liter autobenzin 65 Cent energiesteuern erhoben werden, sind es beim flugbenzin: null. das sagt alles!« Franz Gans


1 Zeit der Ökologie – Das neue Akkumulationsregime. Aus der brennenden Hütte, Januar 2024, https://inferno.noblogs.org/zeit-der-oekologie/.

2 Siehe https://www.youtube.com/watch?v=KPRJVi38l-M, https://www.youtube.com/watch?v=SpzFO6IZ_oU und https://www.youtube.com/watch?v=SgXP3_F4MDI.

3 Siehe https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/ich-habe-es-nicht-fuer-moeglich-gehalten-dass-ich-jemals-in-eine-solche-situation-komme-deutsche/?s=09. Hier können die Akten auch heruntergeladen werden.

4 Siehe die Bilder von der Kundgebung und Demonstration „zeit für ehrlichkeit“ von Marion Blomeyer.

5 Siehe https://muenchen.adfc.de/sternfahrt und
https://sternfahrtmuc.github.io/Sternfahrt2024/?version=Sternfahrt2024.

6 Auf dem Rindermarkt am Ersten Mai, Foto: Günther Gerstenberg. Siehe https://stopfossilsubs.org/muenchen/.

7 Siehe
- https://www.br.de/nachrichten/bayern/klimaaktivisten-legen-voruebergehend-muenchner-flughafen-lahm,UD6Bj3n und
- https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/flughafen-muenchen-stillgelegt-regierung-muss-verantwortung-uebernehmen-008423.html.

8 Siehe https://www.criticalmass-muenchen.de/.

9 Siehe https://www.lebenslaute.net/?page_id=5396.

10 Siehe https://www.trueten.de/archives/13338-Pressefreiheit-bedroht-LG-Muenchen-I-weist-Beschwerde-gegen-Abhoeren-des-Pressetelefons-der-Letzten-Generation-zurueck-GFF-und-RSF-pruefen-weitere-rechtliche-Schritte.html.

Überraschung

Jahr: 2024
Bereich: Umwelt