Materialien 2000

Schleift den Hügel!

Alle Jahre wieder treffen sie sich in Bayreuth, um gesehen und fotografiert zu werden: die wag-
nerblöden Politschickis, die Staatsgetragenen, die Seifenoperettenprominenz, die AntjeRoberto-
MooshammerSchilyBlancoStoiberMerkelStruckGenscherTheaGottschalkFerrarriKüßchen-Gesell-
schaft und natürlich die dümmliche Tutundtatnix. Das war immer schon so schön wie heute. In der Monarchie in der Nazimitläufergesellschaft und – warum eigentlich nicht? – auch in der modernen Demokratie. Von Staats wegen hoch subventioniert natürlich. Und das Volk darf dann auch 1500-fach zuschauen, wer da auf dem roten Teppich zu dieser ansonsten langweiligen Musikveranstal-
tung einläuft. Und alle Kameras der Republik sind auch da.

Mein Vorschlag, als KönigLudwigRichardWagnerAdolfHitlerEdmundStoiberQuadriga nach Bay-
reuth zu fahren, den roten Teppich mit Füßen zu treten und die kulturelle Geistesverwandschaft der Staatswagnerer zu visualisieren, wurde heftig (im „anderen Bayern“) diskutiert. Günter Wan-
gerin stellte aus Naturkautschuk die Masken her. Einen SiemerBMW bestellten wir in Nürnberg am Flughafen. In unseren schwarzen Anzügen und Smokings kamen wir uns selbst etwas verdäch-
tig vor. Wie irgendwelche Ministerialbeamten. Kurz vor Bayreuth; eine Generalprobe im Wald. Edgar Liegl wurde bei Ansicht eines biederen Spaziergängers nervös und ließ sein handy auf dem Autodach liegen. Als wir am Abend dort suchten, fanden wir es ziemlich plattgefahren.

Dann wird es ernst. Vier schwarz gekleidete Männer mit Masken zwischen den Knien und Chauf-
feur rollen zum Hügel. An der ersten Polizeigruppe fahren wir unbeanstandet vorbei. Etliche Fahr-
zeuge vor uns werden nach links zum Parkplatz gewiesen. Wir wollen aber nach rechts. Ein freund-
licher Polizist, der mit einem untrüglichem Gespür Menschen an ihren Autos erkennt, winkt uns als einzige nach rechts zum roten Teppich. Die erste Hürde ist genommen!

Und schon halten wir am Anfang des Teppichs, der zum Königsportal führt. Günter steigt aus und öffnet den Verschlag. Richard Wagner (alias Edgar Liegl) steigt aus und das Volk jubelt! Dann steige ich als Ludwig 2 aus dem Wagen – Beifall, Jubel, Schreie. Endlich windet sich Jean-Marie Weber als blasser Stoiber aus dem schwarzen Schlitten und der Beifall ebbt erfreulich ab. Als der kleine Hitler mit seiner Schnurrbartfratze herauskommt, gibt es Pfiffe. Gut so. Die Leute haben offenbar verstanden. Die reichlich vorhandenen Pressefotografen winken und rufen uns zu sich. Wie lange dauert das eigentlich? Wir haben mit Sekunden gerechnet, bis uns die Polizei packt. Wir stehen und winken minutenlang.

Dann kommt ein sehr freundlicher kleiner Herr in schwarzem Anzug und bittet uns, wenn wir fertig seien, zu einem Gespräch zur Seite. So freundlich wurde ich noch nie von der Staatsgewalt angesprochen. Später erzählt der Redakteur von dpa, er sei neben dem Protokollchef der Staats-
kanzlei und dem Wagnerrudel gestanden, als wir auftraten und der Herr sei ausgerastet und wollte seine Zerberusse losschicken. Auf den Hinweis „Tun Sie das nicht; Sie bekommen eine sehr schlechte Presse“ sei er zusammengeschnurrt und habe die Devise ausgegeben, uns sehr freundlich zu behandeln. Aus dem Publikum bekommen wir einige zustimmende Reaktionen. Schließlich gehen wir mit den zivilen und uniformierten Schandarmeristen nach hinten. Unsere Personalien werden aufgenommen.

Am nächsten Tag ist die Presse voll mit Fotos von unserer Intervention. Gegen Georg Ledig ermit-
telt der Staatsanwalt – „wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisatio-
nen“. Es dauert kaum 4 Monate, da hat der Herr Oberstaatsanwalt schon erkannt, dass er damit keine Karriere und sich nur lächerlich machen würde, wenn er das Verfahren nicht einstellt. Sehr respektabel!

Eine Morddrohung gegen mich können Polizei und Staatsanwalt allerdings leider gar nicht weiter verfolgen – recht(s) so!?

Wolfram P. Kastner

Überraschung

Jahr: 2000
Bereich: Kunst/Kultur