Materialien 2024
Bauernprotest
Die Wut der Bauern ist in diesen Tagen allgegenwärtig. Ich muss sagen: Ich kann sie verstehen. Und dennoch – bzw. gerade deshalb – finde ich, greifen die Proteste zu kurz. Der Kern ist schnell erzählt: Die Ampel vergeigt ihren Haushalt. Dann greift sie in ihrer Not den Bauern in die Kasse, nicht aber den Vermögenden im Land. Andere klimaschädliche Subventionen tastet sie nicht an. Aber von heute auf morgen streichen SPD, FDP und Grüne eine Subvention, die komplett auf das Einkommen der Höfe durchschlägt.
Politische Tölpelei
Was mich daran ärgert: Einen solchen Großkonflikt zu riskieren, ist politisch einfach nur unge-
schickt. Tatsächlich ist die Agrardiesel-Vergütung eine eher nebensächliche Subvention. Zur Klimakrise trägt sie nur minimal bei. Und bei Gewinnen im vergangenen Jahr von mehr als 100.000 Euro für einen durchschnittlichen Betrieb entscheiden ein paar tausend Euro nicht darüber, ob ein Hof dichtmachen muss. Für die Preise im Supermarkt spielt das alles übrigens keine Rolle – auch wenn die Bauernlobby gerne das Schreckgespenst höherer Lebensmittelpreise an die Wand malt.
Doch mit dieser kurzfristigen und erratischen Kürzung hat die Regierung viel Vertrauen zerstört, das nötig wäre für eine viel drängendere Herausforderung: das gesamte Agrarsystem vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Denn so, wie es ist, kann es nicht weitergehen. Die Landwirtschaft steckt nicht erst seit dem Antritt der Ampel, sondern seit Jahrzehnten in der Krise. Viele Höfe sind nur mit staatlichen Subventio-
nen überlebensfähig. Andere geben auf, weil sie von ihrer Arbeit nicht mehr leben können.
Gleichzeitig leidet die Umwelt: Die Böden sind ausgelaugt, viele Vögel und Insekten verschwun-
den, die Grundwässer belastet, Millionen Nutztiere leiden unter qualvollen Haltungsbedingungen. Selbst die EU sagt: Das gegenwärtige hochindustrielle Modell der Landwirtschaft gefährdet unsere Ernährungssicherheit.
Wer hat, dem wird gegeben
Wenn wir über Frust und Ungerechtigkeiten sprechen, die dem Umbau der Landwirtschaft im Wege stehen, dann sind drei Probleme deutlich wichtiger als Vergünstigungen für Agrardiesel:
▓ Das gesamte Agrarsystem ist einseitig auf Masse ausgerichtet: möglichst viel und möglichst billig produzieren. Die Betriebe sind abhängig von den schwankenden globalen Preisen für land-
wirtschaftliche Produkte. Aber Billig-Agrarexporte für den Weltmarkt und eine nachhaltige, um-
weltfreundliche Landwirtschaft mit einem fairen Einkommen für heimische Betriebe – das passt nicht zusammen.
▓ Die landwirtschaftlichen Betriebe sind weitgehend wehrlos gegen die Marktmacht der großen Handelskonzerne. 1970 blieben Landwirten von einem Euro, den wir Verbraucher:innen für Le-
bensmittel ausgegeben haben, noch rund 50 Cent. Heute hat sich dieser Anteil halbiert und liegt bei nur noch etwa 25 Cent.1 Den Rest teilen sich Supermärkte und Lebensmittelindustrie. Ein Grund: Wir konsumieren immer mehr (hoch)verarbeitete Produkte. Kaufen wir Chips statt fri-
sche Kartoffeln, bleiben die Gewinne vor allem bei Herstellern und Handel hängen, während die Höfe weniger abbekommen. Vor allem aber handeln die Supermärkte gnadenlos die Preise runter. Gerade die kleinen Betriebe können da nicht mithalten.
▓ Drittens begünstigen die zig Milliarden an Steuergeldern, die Deutschland und die EU für Agrar-
subventionen ausgeben, vor allem Großbetriebe. Das Geld wird nämlich zu großen Teilen einfach nach Flächengröße verteilt. Wer viel Land besitzt, bekommt viel Steuergeld. Umweltaspekte spie-
len hingegen kaum eine Rolle. Das führt dazu, dass die oberen 10 Prozent der Subventionsemp-
fänger 50 Prozent der Subventionen abgreifen – die unteren 50 Prozent teilen sich gerade mal 7 Prozent der ausgeschütteten Summe.2
Wer hat, dem wird gegeben: Unter den großen Subventionsempfängern sind Agrarholdings, die Finanzinvestoren gehören oder an denen Supermärkte wie Aldi Anteile halten.3 Selbst der millio-
nenschwere Brillenunternehmer Fielmann erhielt für seine Hobby-Höfe Geld.4 Niemand schaut, ob ein Betrieb die Zuwendungen wirklich braucht. Während Bürgergeld-Empfänger:innen oft um jeden Euro betteln müssen, verschenken wir mit vollen Händen Steuergeld an Großbetriebe. Und so profitieren eben genau nicht die kleinen, hart arbeitenden Familienbetriebe, die sich jetzt be-
droht fühlen.
Darüber möchte der Bauernverband nicht so gern sprechen und schürt stattdessen lieber die Wut über den Agrardiesel. Denn er vertritt vor allem die Interessen der Großen. Selbst Joachim Ruk-
wied, der Präsident des Bauernverbandes, der sich als Kämpfer für die Kleinbauern inszeniert, er-
hielt in 2022 allein mehr als 100.000 Euro an Subventionen.5 In Wahrheit hat der Bauernverband – gemeinsam mit der Union, die jahrzehntelang das Landwirtschaftsministerium führte – genau jenes Agrarsystem zementiert, das die Bauern auf die Straße treibt. Rechtsextreme und Populisten wie die AfD versuchen jetzt aus den Protesten Kapital zu schlagen, ohne selber Lösungen anzubie-
ten.
Wir brauchen ein zukunftsfähiges Agrarsystem, das beides leistet: Die Umwelt erhalten und den Höfen ein faires Einkommen sichern. Dafür brauchen wir nicht NOCH MEHR Subventionen, kä-
men vermutlich sogar mit weniger aus. Nötig wäre vielmehr eine Umverteilung: Ein Ende der pauschalen Direktzahlungen, die vor allem die Großbetriebe begünstigen. Hin zu einem System, das Geld für gute landwirtschaftliche Arbeit gibt: Wer nachhaltig wirtschaftet, die Umwelt schont und Arbeitsplätze im ländlichen Raum schafft, sollte belohnt werden.
Dafür sollten die Bäuerinnen und Bauern auf ihren Trekkern protestieren. Ich bin mir sicher: Die Verbraucherinnen und Verbraucher würden ihren Protest unterstützen.
Chris Methmann, foodwatch
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1 Statista online: Anteil der Verkaufserlöse der Landwirtschaft an den Verbraucherausgaben für landwirtschaftliche Erzeugnisse in Deutschland in den Jahren 1950 bis 2022 .
2 derStandard online: EU-Agrarförderung landet zu 80 Prozent bei Großbetrieben.
3 mdr online: EU-Agrarsubventionen: Millionen für Aldi-Töchter und Großbetriebe in Mitteldeutschland
4 faz online: Die feinen Bauern
5 www.agrar-fischerei-zahlungen.de/Suche
zugeschickt am 13. Januar 2024