Flusslandschaft 2024
Kunst/Kultur
Tomasz Konicz: „Das Grundprinzip der Kulturindustrie besteht in der tausendfachen Variierung und Spiegelung der Oberfläche der Realität. Es sind Variationen des Bestehenden, die durch ihre permanente Wiederholung das Bestehende bestätigen. Alles muss sich an der Oberfläche ändern, damit im Grunde alles bleiben kann, wie es ist. Ob Science Fiction oder Fantasy, ob AAA-Compu-
terspiel oder Highend-Hollywood-Produktion: die Konsumenten durchleben bei diesen Kulturwa-
ren faktisch nur die kostümierte Gesellschaft, in der diese produziert wurden – und in der sie sel-
ber leben. Die Kulturindustrie gleicht einer um sich selbst drehenden Contentmaschine, die per-
manent in ihrem Subtext eigentlich nur ein Mantra ausspuckt, das alle Gedanken an Alternativen zuverlässig abtötet: es ist, wie es. Hierzu, zu dieser öden Widerspiegelung der Oberfläche der Reali-
tät in immer neuen Variationen, wird permanent neues ästhetisches Material benötigt.“1
CANCEL CULTURE und POLITICAL CORRECTNESS
Die Schlacht um die kulturelle Hegemonie im vorpolitischen Raum ist im vollen Gang. Angeblich drückt eine bevormundende Minderheit der Mehrheitsgesellschaft Gendersternchen, Binnen-Is oder Unterstriche aufs Auge. Diesem ideologiegetriebenen Genderzwang muss begegnet werden: Das bayrische Kabinett beschließt Mitte März das Verbot der Verwendung von geschlechtersen-
sibler Gendersprache in Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden. In der Allgemeinen Ge-
schäftsordnung für die Behörden des Freistaates ist festgelegt: „Mehrgeschlechtliche Schreibwei-
sen durch Wortbinnenzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt, Gender-Gap oder Mediopunkt sind unzulässig.“ „Für uns ist die klare Botschaft, Sprache muss klar und verständlich sein“, meint Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU). Es gehe mit dem Verbot aber auch darum, die „Dis-
kursräume in einer liberalen Gesellschaft offenzuhalten“. Tja, wer bevormundet hier wen? In Schulen konnte man bis jetzt gendern oder nicht. Entscheidungen dafür oder dagegen konnten ausgehandelt werden. Und dies trug zur eigenen Meinungsbildung bei. — Zwei Schülerinnen protestieren am Mittwoch, 3. April, mit einer waghalsigen Aktion gegen das Genderverbot. Sie hängten ein Banner mit der Aufschrift „*innen“ zwischen zwei Fahnenmasten vor der Staatskanzlei auf. Oben angekommen setzten sie sich in selbst installierte Schaukeln zu dem Banner. Mit ihrer Aktion wollen Juna Stepovic und Sky Lutzen „andere Schüler*innen, Auszubildende und Studen-t*innen auffordern, in Klausuren sowie im Alltag weiter zu gendern, um sich gegen Diskriminie-rung auszusprechen“.
Du entkommst ihnen nicht. Sie sind dir auf der Spur. Jetzt haben sie Otfried Preußler erlegt. Gna-
denlos! Das nach ihm benannte Gymnasium soll jetzt wieder nüchtern und gesäubert „Staatliches Gymnasium Pullach“ heißen. Preußler, Autor von „Hotzenplotz“, „Das kleine Gespenst“ und „Kra-
bat“, hat als 17jähriger „Fähnleinführer im Deutschen Jungvolk“ 1941 ein den NS verherrlichendes Buch „Erntelager Geyer“ geschrieben. Auch wenn dem so ist: Hat er nicht nach 1945 Bücher ver-
fasst, die mit wachsender Abscheu vor faschistischer Ideologie dem Humanismus verpflichtet sind. Filmemacher Thomas von Steinaecker: „Die Umbenennung des Gymnasiums Pullach ist für mich persönlich eine vertane Chance … Preußlers Biografie zeigt beispiellos anschaulich, wie man als Jugendlicher durch Ideologien verführt werden kann und sich daran ein Leben lang abarbeitet. Was wäre das für eine Steilvorlage für jeden Geschichts- oder Deutschlehrer an einem Preußler-Gymnasium gewesen, sich regelmäßig mit dem Namensgeber der Schule und seinen Schwächen und Stärken auseinanderzusetzen – gerade heute!“2 – Den 68ern war die Entnazifizierung der Köpfe ein Anliegen. Das aber wollten sie wirklich nicht: Eine Schnüffelrepublik Deutschland, in der selbsternannte Sprachblockwarte überprüfen, ob jemand vom Zeitpunkt, an dem er das Licht der Welt erblickt hat, bis zu seinem seligen Dahinscheiden immer korrekt gedacht, gesprochen und gehandelt hat. Der Verantwortliche dieser Webseite ist beinahe versucht, die Exorzisten-Mafia in ihrer pathologischen Jagd nach Sprachsündern zu unterstützen. Sie sollte einmal im literarischen Steinbruch unseres Dichterfürsten suchen. Dort findet sie in „Das Jahrmarktsfest in Plunderswei-
lern“ (Goethes Werke, hg. von Heinrich Kurz, Bd. 5, Leipzig o.J., S. 97) folgenden lyrischen Erguss: „Es ist ein jeglicher in deinem ganzen Land / Auf ein und andre Art mit Israel verwandt. / Und dieses schlaue Volk sieht Einen Weg nur offen: / So lang die Ordnung steht, so lang hats Nichts
zu hoffen. / Es nährt drum insgeheim den fast getuschten Brand, / Und eh wirs uns versehn, so flammt das ganze Land.“ Die Konsequenz, um das Kind mit dem Bade auszuschütten: Ich, G. Gerstenberg, fordere die Stadt München zur Umbenennung des Goetheplatzes und der Goethe-
straße auf.
Am Donnerstag, 16. Mai, versammeln sich Hundert Menschen um 17 Uhr vor der Staatskanzlei. Sie werfen der Staatsregierung vor, mit dem Verbot von Gender-Sternchen ins vergangene Jahrhundert zurückzuschreiten.3
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Die Außenfassade der Hochschule für Fernsehen und Film am Bernd-Eichinger-Platz 1 am 7. Juni.
INSTALLATION
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Am »Billboard« auf der Kunstinsel am Lenbachplatz ist vom 29. Juli bis 30. September »May Day Relay« von Sandra Singh zu sehen. Das Motiv auf der Frontseite zeigt ein überfülltes Flüchtlings-
boot auf hoher See; auf der Rückseite steht der Text eines Notrufs über Funk.6
KABARETT
Am 5. Juni stirbt Schriftsteller und Kabarettist Reiner Uthoff. Im Januar 1965 eröffnete er das Münchner Rationaltheater.7
MUSIK
Manchmal stehen wir Zeitgenossinnen und -genossen fassungslos vor den sinnentleerten Produk-ten einer Kulturindustrie, deren einziger Zweck darin besteht, auf dem Markt der bunten Waren den Umsatz zu garantieren oder besser noch zu erhöhen. Der 96jährige Karl Stankiewitz macht am 12. Mai eine besondere Erfahrung.8
Im Juli feiert Blues-Barde Willy Michl im Lustspielhaus seinen 74. Geburtstag.9
OKTOBERFEST
Die nächste Hiobsbotschaft: Das Herzkasperlzelt auf der Oidn Wiesn steht zu Disposition. Da bleibt nur, alle Mitstreiter, Fans und die gesamte Gemeinde zur Unterschrift bei einer Petition aufzurufen: https://chng.it/PjyLrGgx7K
STADTTEILBIBLIOTHEK SENDLING
Aufgeschreckt von mehreren Zeitungsmeldungen demonstrieren am Dienstag, 23. Juli, um 16.30 Uhr vor der Stadtteilbibliothek am Harras rund 1.000 Anwohnerinnen und Anwohner für den Erhalt von Münchner Stadtbibliothek und Münchner Volkshochschule. Die Stadtteilbibliothek in Sendling zählt mit 16.000 Besuchen pro Monat zu den erfolgreichsten Standorten der Münchner Stadtbibliothek. Das Stadtbereichszentrum Süd der MVHS wiederum gilt mit 900 Kursen und 50.000 Besuchen jährlich als größtes kommunales Weiterbildungszentrum für die Stadtteile Sendling, Sendling-Westpark und Schwanthaler Höh’.
1 https://www.untergrund-blättle.ch/digital/software/ki-games-und-kulturindustrie-hollywood-copyright-008245.html
2 https://www.br.de/nachrichten/kultur/pullach-otfried-preussler-gymnasium-will-namen-aendern,U512GGy
3 Siehe die Fotos der Protestkundgebung „*innen“ von Günther Gerstenberg.
4 Fotos: Richy Meyer
5 Fotos: Sandra Singh
6 Siehe https://ru.muenchen.de/2024/143/Public-Art-Muenchen-Neues-Motiv-am-Billboard-Lenbachplatz-114083. Der Mitschnitt des Funk-Notrufs kann unter https://vimeo.com/899883303 angehört werden.
7 Siehe „Leutnant Ungehorsam“ von Karl Stankiewitz.
8 Siehe „Ohrwürmer“ von Karl Stankiewitz.
9 Siehe „Ois is blues“ von Karl Stankiewitz.