Materialien 2017
Vereint mit Kriegstreibern Trump zum Feindbild machen?
von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Wer spricht da? Wer spricht da am 18. Februar 2017 in München bei den Kundgebungen anlässlich der so genannten „Sicherheitskonferenz“ auf dem Stachus und auf dem Marienplatz? Spricht dort die Friedensbewegung? Sprechen dort „transatlantische“ NATO-Journalisten der Süddeutschen Zeitung? Oder ist es gar Wolfgang Ischinger, der Chef der „Sicherheitskonferenz“ höchstpersön-
lich, der dort das Wort ergreift? Hören wir einige Sätze: „Die USA erlebten [nach der Amtseinfüh-
rung von US-Präsident Trump] den größten Protesttag in ihrer Geschichte … Das macht uns Hoff-
nung … Von diesem Widerstand schreibt Stefan Cornelius in der Süddeutschen Zeitung: Der Fa-
schismusverdacht hat in den USA Konjunktur … Ein Blick auf das Horrorkabinett Trumps: Neben Vertretern der Superreichen und Militärs sind dort Apokalyptiker wie Stephen Bannon vertreten … ‚In fünf bis zehn Jahren werden wir einen Krieg im südchinesischen Meer führen‘ gegen die Atom-
macht China. Das sagt … Trumps engster Berater [Stephen Bannon]. Da trifft er sich mit seinem großmäuligen Chef Trump, der im Wahlkampf die nicht naiv gemeinte Frage gestellt hat – Origi-
nalton: ‚Wozu haben wir Atomwaffen, wenn wir sie nicht anwenden?‘“ Wer könnte so sprechen? Um die Frage beantworten zu können, gilt es, die Sätze genauer unter die Lupe zu nehmen.
Faschismusverdacht in den USA
Was fällt auf? Ins Auge springt z.B. der Name Stefan Cornelius. Das ist einer der gefährlichsten NATO-konformen Propagandisten. Das ist also niemand, auf den sich ein Mitglied der Friedens-
bewegung berufen könnte. Seit wann macht sich das US-Imperium mit seiner NATO Sorgen, wenn irgendwo Faschismus entsteht. Dieses Imperium installiert Faschismus oder kooperiert mit ihm, wo immer es von Nöten ist. Zumindest war das in der Vergangenheit so: Spanien, Portugal, Grie-
chenland, Chile … um nur einige Beispiele zu nennen.
Horrorkabinett
Auffallend ist auch, dass von einem „Horrorkabinett“ die Rede ist. Diese Klassifizierung reiht sich ein in die Beurteilung, die es im Vorfeld bereits mehrfach gegeben hat. Da war wortgleich in einer „marxistischen“ Tageszeitung sowie in einer „sozialistischen“ Wochenzeitung von „Gruselkabinett“ die Rede. Die Einschätzung, die sich mit dem Wort „Horrorkabinett“ verbindet, war aber auch Te-
nor in einer Vielzahl von Publikationen der Herrschaftsmedien. Was ist daraus zu schließen? Ist der seltene Fall eingetreten, dass kriegstreiberische Kapitalverbrecher und Linke zu gleichen Ein-
schätzungen kommen, was die Gefährdung der Menschheit durch eine Regierung anbetrifft?
Grund zur Hoffnung?
Und dann wird gesagt, es mache Hoffnung, wenn Millionen Menschen gegen den gerade vereidig-
ten US-Präsidenten auf die Straße gehen. Kann es der Friedensbewegung Hoffnung machen, wenn gegen einen Präsidenten protestiert wird, der der Regime-Change-Praxis der USA ein Ende setzen will, der mit Russland gut auskommen möchte, der für Israel und Palästina Frieden schaffen möchte? Ist ein Protest, zu dem maßgeblich PR-Organisationen des global operierenden Kapitals – wie MoveOn, Campact und Avaaz – mobilisieren, ein Grund zur Hoffnung? Ja, keine Frage! Für „transatlantische“ NATO-Journalisten oder Strategen vom Schlage eines Wolfgang Ischinger wäre das ein Grund zur Hoffnung. Kann es andererseits Aufgabe der Friedensbewegung sein, die Kräfte zu bekämpfen. mit denen sich die Hoffnung verbindet, dass die Regime-Change-Praxis der USA beendet wird und eine Politik in Richtung Frieden und Verständigung größeren Raum einnimmt? Die Antwort liegt auf der Hand.
Krieg im südchinesischen Meer
„In fünf bis zehn Jahren werden wir einen Krieg im südchinesischen Meer führen“, gesagt zu ha-
ben, wird Trumps Berater Stephen Bannon vorgeworfen. In welchem Zusammenhang ist dieser Satz ausgesprochen worden? Und mit welcher Tendenz: als etwas, auf das es zuzusteuern gilt, oder das droht und das es deshalb abzuwenden gilt? Und woher kennt der Redner dieses Zitat? Dieser Satz war am 2.2.2017 z.B. im „Focus“ zu lesen. Dort hieß es: „‘In fünf bis zehn Jahren werden wir im Südchinesischen Meer in den Krieg ziehen’, sagte Bannon vor wenigen Monaten.“ Vor wenigen Monaten? Das wäre vielleicht vor zwei oder drei Monaten, also nach der US-Präsidentschaftswahl. Ist dem so? Nein, dem steht eine Angabe im „Independent“ im Wege. Demnach stammt die Aussa-
ge vom März 2016. Zu dem Zeitpunkt war noch kaum absehbar, dass Donald Trump Präsident werden würde. Und Trump war noch nicht einmal von seiner Partei zum Kandidaten gekürt. Von daher kann sich die Aussage sehr gut auf eine Situation beziehen, in der das US-Kriegstreiberkar-
tell weiter an der Macht geblieben ist. Die „Huffington Post“ macht deutlich, in welchem Zusam-
menhang dieser Satz steht: „Der Hintergrund von Bannons China-Aussage: China beansprucht schon seit langem große Teile des Südchinesischen Meers für sich und untermauert diesen An-
spruch, indem es künstliche Inseln aufschüttet. Damit will China Zugriff auf die Rohstoffvorräte in dem Meer bekommen. Aber auch andere Länder beanspruchen das Territorium für sich … Und: „Der Konflikt zählt zu den brisantesten weltweit, trotzdem findet er nur wenig öffentliche Auf-
merksamkeit …“ Das lässt Bannons Äußerung in einem anderen Licht erscheinen. Es geht dabei also um einen Interessenskonflikt, der auf Krieg hinauslaufen kann. Und eines ist ganz klar: der Satz „In fünf bis zehn Jahren werden wir einen Krieg im südchinesischen Meer führen“ ist aus dem Zusammenhang gerissen. Der „Independent“ zitiert auch die nachfolgenden Sätze und macht eine Audio-Aufzeichnung verfügbar. Den Sachverhalt, dass die Äußerung aus einem Radiobeitrag für die Breitbart-Website stammt, kommentiert der „Independent“ wie folgt: „Dass sie bei Breitbart zu hören war, macht sie nicht falsch … Bannon hat recht mit seiner Analyse. Und er ist nun in einer Position, etwas zu tun, dass verhindert wird, dass es wahr wird [was er angesprochen hat].“ (Just because it was on Breitbart doesn’t make it wrong … Bannon is right in his analysis, and he is now in a position to do something to prevent it coming true.) Wer kann also ein Interesse daran haben, Bannons Äußerung in einen falschen Zusammenhang zu bringen? Ein Mitglied der Friedensbewe-
gung? Wohl kaum.
Wozu haben wir Atomwaffen?
Und dann geht es um Bannons „großmäuligen Chef Trump“. Von dem wird behauptet, er habe ge-
sagt: „Wozu haben wir Atomwaffen, wenn wir sie nicht anwenden?“ „Originalton“ sei das, wird verstärkend hinzugefügt. Dieser Satz ist bei den Kundgebungen in München zweimal zu hören – gleich zu Beginn bei der Auftaktkundgebung auf dem Stachus und bei der Abschlusskundgebung auf dem Marienplatz – von zwei verschiedenen Rednern. Und die Thematik wird auf einem der größten Transparente ins Bild gesetzt. Was hat es mit diesem Satz auf sich? So ähnlich war es Ende Oktober 2016 in der Erklärung einer Partei, die sich „KPUSA“ nennt, und in einer „marxistischen“ Tageszeitung zu lesen. Die „Neue Rheinische Zeitung“ hat diesen Vorgang bereits eingehend ana-
lysiert und die Frage „Hat Trump das tatsächlich geäußert?“ wie folgt beantwortet: „Dafür gibt es keinen Beleg! Um das zu erkennen, reicht es, die Herrschaftsmedien zu studieren.“ Und weiter: „Die unbelegte, Trump belastende Behauptung, bzw. die willkürliche Interpretation der Frage, die unterstellt, er wolle Atomwaffen einsetzen, kommt aus dem Spektrum von Medien und Geheim-
diensten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, einen Präsidenten Trump zu verhindern.“ Nur zwei Tage vor dem Protest in München – bei der Pressekonferenz in Washington am 16. Februar 2017 – hat US-Präsident Trump zum Ausdruck gebracht, wie er einen Atomkrieg sieht, und was seine Politik gegenüber Russland sein soll: „Ein nuklearer Holocaust wäre unvergleichlich. Russ-
land ist so wie wir eine sehr starke Nuklearmacht. Wenn wir gute Beziehungen zu Russland haben – glauben Sie mir – ist das eine gute Sache, keine schlechte.“ (Nuclear holocaust would be like no other. [Russia is] a very powerful nuclear country and so are we. If we have a good relationship with Russia, believe me, that’s a good thing, not a bad thing.) Diese Äußerung zu transportieren und in diesem Sinne zu mahnen, wäre Aufgabe der Friedensbewegung gewesen.
Desinformation aufgreifen und multiplizieren?
Wer kann ein Interesse daran haben, stattdessen Desinformation aufzugreifen und zu multiplizie-
ren? Aufgabe der Friedensbewegung kann das nicht sein. Desinformation ist das perfide Instru-
ment zur Manipulation der Öffentlichkeit, wie es zum Arsenal von NATo-Journalisten und dem Geschäft von NATO-Strategen gehört. Sich in diesem Fahrwasser zu bewegen, verbietet sich für die Friedensbewegung – zumindest für eine, die nicht von ihren Gegnern durchsetzt ist. Noch einmal die Frage: Kann es Aufgabe der Friedensbewegung sein, die Kräfte zu bekämpfen, mit denen sich die Hoffnung verbindet, dass die Regime-Change-Praxis der USA beendet wird und eine Politik in Richtung Frieden und Verständigung größeren Raum einnimmt? Natürlich nicht! Das heißt nicht, dass eine Regierung Trump eine Garantie dafür bietet, dass sich die Hoffnungen erfüllen. Voraus-
gesetzt US-Präsident Trump will wirklich wahr machen, was er immer wieder verkündet, dann steht ihm eine Gegenmacht gegenüber, die ihm das Genick brechen will. Das hat ZElT-Herausge-
ber Josef Joffe bereits offen formuliert: „Mord im Weißen Haus zum Beispiel“ hat er in die Debatte geworfen. Kann es Aufgabe der Friedensbewegung sein, mit diesen Kriegstreibern gemeinsame Sache zu machen? Die Antwort kann nur lauten: NEIN!
Wer spricht da?
Bleibt noch zu beantworten: Wer spricht da am 18. Februar 2017 in München bei den Kundgebun-
gen anlässlich der so genannten „Sicherheitskonferenz“ auf dem Stachus und auf dem Marien-
platz? Spricht dort die Friedensbewegung? Sprechen dort „transatlantische“ NATO-Journalisten der Süddeutschen Zeitung? Oder ist es gar Wolfgang Ischinger, der Chef der „Sicherheitskonfe-
renz“ höchstpersönlich, der dort das Wort ergreift? Die bedauerliche Antwort lautet: es spricht ein Redner der Friedensbewegung – und nicht irgendeiner. Die anfangs zitierte Passage ist Teil einer Rede, die im Namen des Aktionsbündnisses „gegen die NATO-Sicherheitskonferenz“ gehalten worden ist. Und auch auf dem Marienplatz ist es nicht irgendein Redner, der das unbelegte Zitat über den Einsatz von Atomwaffen zur Basis seiner Ausführungen macht, sondern einer der Haupt-Organisatoren.
Das Krokodil. Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens, bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch 20 vom März 2017, Köln, 29 ff.