Materialien 2001
Lebensquell Wasser in dreckige Spekulantenfinger?
„Igitt, du willst doch wohl nicht Wasser aus der Leitung trinken?!“ Schon Kindern wird zu verstehen gegeben: Das schmeckt scheußlich! Das wirkt ärmlich und ist höchstwahrscheinlich nicht gerade gesund … also mega-out, um im Werbedeutsch zu bleiben.
Und von eben dieser Ecke wird die gezielte Abwertung betrieben, die uns veranlassen soll, lieber miserables, z.T. mit dubiosen Zusätzen versehenes Mineralwasser gleich palettenweise teuer ein-
zukaufen, wie es in manchen europäischen Ländern, die qualitativ und quantitativ schlechter versorgt sind, bereits üblich ist.
Hier ist das Geschäftsinteresse förmlich zu riechen! Denn insbesondere das Münchner Wasser ist von hervorragender Qualität aus Loisach und Mangfalltal, ständig gesundheitlich kontrolliert und übertrifft die gesetzlichen Qualitätsnormen erheblich durch die enge (und bezahlte) Zusammenar-
beit mit über 100 Bauern auf 2.500 Hektar umwelt- und gewässerschonender Landwirtschaftsflä-
che.
Lebensmittel Nr. 1
Nicht nur das seit 115 Jahren ständig ausgebaute, jährlich sanierte Münchner Versorgungsnetz wirkt auf die überall nach Geldquellen witternden Börsenhaie wie ein Magnet. Dazu kommt noch die absolute Abhängigkeit allen Lebens vom Wasser, womit jede Kommune, jeder Betrieb, jeder Einwohner ohne Einschränkung erpressbar ist.
Wie vorher schon bei Bahn und Post, bei Strom und Gas finden sich sofort hochrangige (und auf jeden Fall noch höher gesponserte) Professoren und Gutachter, die erstmal die bisherige Leistung schlecht reden, um dann die Vorteile einer Liberalisierung, also ,Freigabe von allen politischen Zwängen’, in leuchtenden Farben zu schildern.
Erstens, so das Berliner Wirtschaftsministerium, ist dann mit deutlicher Senkung der Verbrau-
cherpreise zu rechnen. Zweitens würden die künftigen großen deutschen Wasserkonzerne aus-
ländischen Konkurrenten besser widerstehen – womit hiesige Arbeitsplätze gesichert würden. Und letztendlich könnte der günstige Verkauf an diese Konzerne dringend benötigte Geldmittel in die Gemeindekassen spülen, womit andere Infrastrukturaufgaben gelöst werden können, während man sich um die Wasserversorgung nicht mehr zu kümmern brauche.
Das sind glatte Lügen!
Wenn das vielleicht RWE-Mann Müller an der Spitze des Wirtschaftsministeriums noch nicht durchblickt – wir, die Bevölkerung haben mittlerweile unser Erfahrungen mit der neuen Wett-
bewerbs„freiheit“ sammeln können:
Die Preise sinken? Bei der Bahn gilt das allenfalls für Geschäftsreisende auf langen Strecken, für den Nahverkehr, insbesondere die Pendler, nicht! Die anfänglichen Lockpreise z.B. bei Strom, erhöhen sich mit jeder „Marktbereinigung“, d.h. mit der schrittweisen Monopolisierung des Marktes.
Übrigens ist das in England hervorragend zu beobachten, wo nach der Privatisierung als erstes 150.000 MitarbeiterInnen in der Wasserwirtschaft ihren Job verloren, was folgerichtig zu Quali-
täts- und Serviceverlusten führte. (Parallel dazu wurden die Vorstandsbezüge verfünffacht!) Jetzt, nachdem einige Jahre die eingenommenen Gelder in die Shareholder-Taschen statt in notwendige Sanierungen geflossen sind, verlieren die maroden Leitungen im Schnitt 35 Prozent des Wassers! (Bei uns 7 Prozent). Die nun unaufschiebbaren Reparaturen sollen durch eine Preiserhöhung um ein Drittel von den Kunden finanziert werden – ähnlich wie bei uns das zusammengestrichene Schienennetz der privatisierten, ach so rentabel arbeitenden Bahn AG mit 45 Milliarden DM vom Steuerzahler saniert werden muss.
So wie bei der Post ein Postamt nach dem anderen schließt, bei der Bahn unrentable Strecken stillgelegt werden, wird sich der „Service“ einer Wasser-AG auf die lukrativen Ballungsgebiete konzentrieren, aufwendige Kontrollen eingespart (siehe die vermeidbaren Eisenbahnunfälle), bezuschusste Wasserschutzgebiete vernachlässigt und mögliche Gesundheitsrisiken mit Chlor-
zusatz neutralisiert werden.
Völlig unklar ist, wie die Versorgung der Bevölkerung in Notstandssituationen oder bei einem Konkurs des Unternehmens gewährleistet ist. Letztendlich – d.h. nach dem Goldregen für die Aktionäre – steht der Steuerzahler dafür gerade … die Gewinne werden privatisiert, die Verluste sozialisiert, der Gemeinschaft aufgehalst. Und was die Linderung der Finanznot der Gemeinden angeht (die nebenbei bemerkt vor allem auf die Steuergeschenke an Reiche und Kapitalgesell-
schaften zurückgeht), so geben die Kommunen mit dem einmaligen Verkauf des „Tafelsilbers“ jede Möglichkeit weg, durch sinnvolles Wirtschaften und Querfinanzierungen defizitäre Bereiche wie Kindergärten, Freibäder usw. zu bezuschussen.
Aber die EU schreibt uns das vor
Das ist schon die von Kanzler Kohl gern benutzte Ausrede. Tatsache ist, dass Deutschland die un-
angefochtene Nr. 1 in der EU ist, ohne die nichts läuft. Tatsache ist ferner, dass die EU-Kommis-
sion bis jetzt eine Liberalisierung der Wasserwirtschaft nicht einmal geplant hat.
Dies ist auch nicht vorgesehen, wenn nicht z.B. die deutsche Regierung eine Antrag in der Richtung stellen würde. Es sind also ausschließlich die bestimmenden Finanzkreise – und leider auch unser Wirtschaftsministerium – die ein brennendes Interesse an derart großen, sicheren und lukrativen Investments für ihre Geldströme haben. Wie beim antiken Sagenkönig Midas vergolden sie alles, was sie anfassen. Nur konnte dieser die Speisen und Getränke, die sich ebenfalls in Gold verwan-
delten, nicht mehr essen, weshalb er fast am Verschmachten war, bevor ihn ein Gott rettete.
Gegen diese verhängnisvolle Politik, Gemeinschaftsgüter und sogar Lebensmittel in Spekulations-
objekte zu verwandeln, hilft nur massenhafter, organisierter Protest, bei dem wir ausnahmsweise alle in den kommunalen Körperschaften vertretenen Parteien auf unserer Seite haben. Verlieren wir keine Zeit!
Schon verlegen sich Minister Müller und seine Helfer aufs Tricksen, Verzögern, Bestechen und Mauschelgeschäfte mit einzelnen Vertretungen, um scheibchenweise ihre bevölkerungsfeindlichen Ziele durchzudrücken. Spucken wir ihnen in die Wassersuppe!
Aus „linksblick“, Stadtzeitung der DKP München
unsere zeit. Sozialistische Wochenzeitung 30 vom 27. Juli 2001, Essen, 4.