Materialien 2002

Totales Meinungsverbot in München

Anlässlich der brutalen Polizeieinsätze in München am vergangenen Wochenende, wo Zigtausende gegen die Nato-Sicherheitskonferenz demonstrierten, sprach die UZ mit Claus Schreer vom Bündnis gegen die Nato-Sicherheitskonferenz.

UZ: Schon im Vorfeld der Demonstrationen gab es zahlreiche Repressionen gegen Unterstützer des Bündnisses, z.B. wurde ein Infoladen geschlossen. Was weißt du darüber?

Claus Schreer: Das schlimmste war die gesamte Kriminalisierung im Vorfeld. Eine riesige Hetz-
kampagne, die vor allem vom Innenministerium, aber auch vom Münchner Oberbürgermeister ausging. Dazu kamen die praktischen Maßnahmen wie die Schließung des Infoladens. Verbot von Informationsveranstaltungen in Einrichtungen, die von der Stadt finanziert werden, das Eine-Welt-Haus beispielsweise. Dann natürlich die Verbote, die ausschließlich Begründungen enthiel-
ten, die aus der Giftküche des bayrischen Innenministeriums stammten. Hier hat sich ja rausge-
stellt, dass die gar nicht den Tatsachen entsprachen.

UZ: Du selbst warst 36 Stunden in Haft. Was wurde dir denn vorgeworfen?

Claus Schreer: Die Begründung wurde mir in der Haft vorgelegt, sie liegt jetzt beim Rechtsanwalt. Am Freitag haben wir eine Pressekonferenz gemacht, diese hätte ich angeblich benutzt, um zu den Protesten aufzurufen, gegen die Verbote und dass die Leute ihr Recht auf Meinungs- und Ver-
sammlungsfreiheit wahrnehmen sollen. Die zweite Pressekonferenz, die eigentlich am Samstag auf dem Marienplatz stattfinden sollte, haben wir in die Fußgängerzone verlegt. Da war es dann ähn-
lich. Ich habe gesagt: „Ich gehe jetzt zum Marienplatz und ich gehe davon aus, dass Tausende ebenfalls mitkommen werden.“ Daraufhin bin ich dann festgenommen worden.

UZ: Wie ist die Reaktion des Bündnisses? Gibt es Überlegungen, rechtlich gegen die Verantwortli-
chen vorzugehen?

Claus Schreer: Wir werden jetzt gegen diese Verbotsverfügung vorgehen, bis zum Bundesverfas-
sungsgericht. Es hat sich ja herausgestellt, dass an diesem Wochenende ein totales Meinungsver-
bot erlassen worden ist. Wir werden weiterhin Fotomaterial sammeln und wir dokumentieren die Brutalitäten der Polizei gegen die Demonstranten, die an dem Wochenende nichts anderes ge-
macht haben als sich an Sprechchören zu beteiligen und Fähnchen hochzuhalten und ihre Meinung zu äußern.

UZ: Kann man sagen, dass das vergangene Wochenende schon der Wahlkampfauftakt von Ed-
mund Stoiber war?

Claus Schreer: Das ist sicher so. Er hat sich ja auf der Sicherheitskonferenz als starker Außenpoliti-
ker und als starker Mann in Deutschland präsentiert, der sich durchsetzt.

UZ: In Bielefeld wurde der Aufmarsch der Neonazis gegen die Wehrmachtsausstellung genehmigt, während bei euch in München ein totales Verbot herrschte. Wie ist das zu bewerten?

Claus Schreer: Ähnlich war das ja auch 1997 in München. Damals sind hier 5.000 Nazis durch die Stadt marschiert, die Polizei und der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude haben damals bis zur letzten Minute den halben Marienplatz freigehalten für die Nazis. Mit Absperrungen und Polizeiketten wurden die Nazis auf den Marienplatz geleitet. Und den Gegendemonstranten wurde es strikt verboten. auf diesen Platz zu kommen.

Die Fragen stellte Michael Friedrich.


unsere zeit. Sozialistische Wochenzeitung 36 vom 8. Februar 2002, Essen, 2.

Überraschung

Jahr: 2002
Bereich: Sicherheitskonferenz