Flusslandschaft 1977
Bundeswehr
Unter erheblichem Alkoholgenuss singen am 16. Februar Studenten der Bundeswehr-Hochschule das „Horst-Wessel-Lied“, nehmen eine symbolische „Judenverbrennung“ vor, skandieren milita-
ristische und rassistische Parolen und beschmieren Seminararbeiten und Abwesenheitslisten mit Hakenkreuzen. Die Verantwortlichen werden später freigesprochen.
Am 28. Mai demonstrieren über 1.500 Soldaten und Reservisten von der „Initiative für ein Solda-
ten- und Reservistenkomitee München“ auf dem Marienplatz gegen ihre rechtlose Lage. Obwohl das Innenministerium den Einsatz eines Lautsprecherwagens verboten hat, organisiert Helmuth Kaiser einen solchen, worauf dieser verhaftet und angezeigt wird wegen „schweren Landfriedens-
bruchs, Körperverletzung und Widerstands gegen die Staatsgewalt“. Am 15. Juni findet eine Pro-
testversammlung im Alten Wirt an der Dachauerstraße 274 in Moosach statt.1
»Besoffen und stumpf lese ich
die Zeilen gegen den Krieg.
Pfeifend und dröhnend explodieren
die Geschosse.
Mit zerfetzendem Schrei
fliegen die Fleischteile
an meinem Gesicht vorbei.
Sie riechen nach Blut und
erhöhter Schnapsration. –
Nach Jahren erzählen
auch die zu Krüppeln Zerschossenen,
wie schön es war.
Sie haben nur die Aufgabe, nicht zu leben,
sondern zu funktionieren
als nützliche Idioten
zum Gewinn anderer. –
Als der Krieg vorbei war, merkten sie nicht,
daß einige Geldwänste sich
wohlig sonnten.
Luxuriös suhlen sie sich in der Sonne,
ohne die Toten.
Vielleicht erfahren die anderen Überlebenden,
daß sie besoffen und stumpf
funktionierend
den Krieg überlebt haben.
Während die Überlebenden wieder
arbeiten und Geld verdienen,
sind alle die toten Soldaten,
die alten Kameraden
nur noch im Hintergrund.
Besoffen und stumpf
läuft es an ihnen vorbei:
Das Leben und der Tod.«
Wolf-Dieter Krämer am 24. September
(zuletzt geändert am 10.8.2018)
1 Vgl. Münchner Merkur 123/1977.