Flusslandschaft 1977

Gedenken

Die Städtische Galerie im Lenbachhaus in der Luisenstraße 33 zeigt bis zum 20. November die Ausstellung „Exit – Materialien zum Dachau-Projekt“ von Jochen Gerz. Zwei Reihen von je zehn Tischen und Stühlen werden von schwachen Glühlampen beleuchtet, zu hören ist das Atmen eines Läufers, das Geklapper von Schreibmaschinen und das Klicken eines Kameraauslösers. 50 Foto-
grafien dokumentieren in Lesemappen, die auf den Tischen liegen, einen Besuch im ehemaligen Konzentrationslager mit Bildern von Hinweistafeln, Wegweisern und Verbotsschildern. Gerz weist darauf hin, dass Musealisierung sich vor die Wirklichkeit schiebe und sie verdränge und dass Spra-
che als Ordnungsprinzip und Machtfaktor wirke, indem der Subtext den Text aufhebe. Er behaup-
tet damit, die Sprache im Museum der Gedenkstätte unterscheide sich nicht von der Sprache, die im ehemaligen KZ geherrscht habe. — Das Besucherbuch dokumentiert kontroverse und heftige Reaktionen. Ehemalige Häftlinge, die an der Errichtung und Gestaltung der Gedenkstätte beteiligt waren, fühlen sich von der Gerz’schen Installation verunglimpft. Michael Schwarz meint: „Nie-mand sollte heute unbefangen ‚Exit’ an eine Tür schreiben lassen, durch die früher Häftlinge ins Krematorium getrieben wurden.“1 Gottfried Knapp schreibt am 12. Oktober in der Süddeutschen Zeitung von „peinlicher und peinigender Doppeldeutigkeit“: „Wenn heute das der Bequemlichkeit dienende Museumsstichwort ›Exit-Ausgang‹ an den Türen hängt, die einst direkt und unausweich-lich in den Tod geführt haben, dann bekommt die unbedachte, durch Diskrepanz verzerrte Analo-gie der Verweisungssysteme eine makabre Dimension.“ Barbara Distel, die Leiterin der Gedenk-stätte, meint: „Wer die Realität der KZ-Verbrechen ausklammert und nur den Erinnerungsort skandalisiert, wird den Anliegen der überlebenden Opfer sicherlich nicht gerecht. Befördert wird jedoch eine heute oftmals nur noch unterschwellig wahrnehmbare Aggression gegen KZ-Gedenk-stätten und deren gesellschaftspolitische Aufgaben.“2


1 Zitiert in Blatt. Stadtzeitung für München 105 vom 7. Oktober 1977, 10.

2 Barbara Distel: „Neue Formen der Erinnerung?“ In: Dachauer Hefte 22 vom November 2006. Realität – Methapher – Symbol. Auseinandersetzungen mit dem Konzentrationslager, 10.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Gedenken

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