Materialien 2024
Ohrwürmer
Gedankenblitz Nr. 4
Dass ich in einer anderen Welt lebe, die mir fremd ist, wird mir täglich mehr bewusst. Einen Hö-
hepunkt des Nichtverstehens lieferte gestern die ARD mit dem Song Contest aus Malmö. Ein ein-
ziges Blitzen, Schreien, Kreischen, Krachen, Toben, Hüpfen. Die Texte sowieso blödsinnig oder unverständlich. Eine Zumutung für Auge und Ohr. Begleitet wurde das Höllenspektakel obendrein von einem eher überflüssigen Polit-Eklat und einem Sittenskandälchen.
Nun erlebe ich seit einiger Zeit, dass unwillkürlich ganz andere, ganz alte Melodien aufploppen und kurz- oder längerfristig Ohrwürmer bilden. Als wolle sich das Gehör gegen das allgegenwärtige Gedudel wehren. Momentan sind Hits dran, die ich als Jüngling aus dem Soldatensender AFN (American Forces Network) gesaugt habe. Einige könnte ich noch heute runtersspulen: „Gonna take a sentimental journey …“ Jene Songs hatten uns Nachkriegsbuben nicht nur bespaßt, sondern auch unser kümmerliches Englisch aus dem NS-Gymnasium bereichert. Ja, auch stramme Lieder aus meiner Pimpfzeit tauchen jetzt plötzlich als Ohrwürmer auf, das aktuelle heißt „Flamme em-
por“. Und sogar noch älteres Liedgut schleicht sich in meine Gehörgänge, etwa die Elegie vom „Morgenrohot“, das mir den frühen Tohod kündet.
Zurück nochmal nach Malmö. Im September 1980 hatte mich das Goethe-Institut in die schwedi-
sche Stadt eingeladen, dort fand eine Deutsche Kulturwoche statt. Mit dabei war Konstantin Wek-
ker, der damals seine internationale Karriere begann und der mich heute noch genauso begeistert. Da bin ich dann wieder in meiner Welt, da bin i dahoam.
Karl Stankiewitz am 12. Mai 2024