Materialien 1984

Katholikentage

Gedankenblitz 10

Tag für Tag hörte ich im vortrefflichen Deutschlandfunk hintergründige Berichte vom Deutschen Katholikentag in Erfurt. Ungewohnte Redewendungen strömten auf mich ein, von der biblischen „Feindesliebe“ bis zur derzeit beliebten „Resilienz“, womit wohl die Abwehr gegen Krisen gemeint ist. In der eher evangelischen Hauptstadt Thüringens ging es, wie derzeit vielerorts, um Gefähr-
dung und Sichern des Weltfriedens über Konfessionen und Nationen hinweg.

Genau das war auch schon das Kardinalthema auf dem Katholischen Kirchentag in München, den ich Anfang Juli 1984 miterlebt und für meine Zeitungen beschrieben hatte. Zwar war die damalige Welt – vergleichsweise – eine durchaus friedliche. Die USA und die noch intakte UdSSR verhan-
delten über die Abrüstung – im Weltraum, wo gerade vier sowjetische Kosmonauten unterwegs waren. China hatte sich noch kaum in eine globale Neuordnung eingemischt und eine Wirtschafts-
reform eingeleitet. Allenfalls aus Afrika und Mittelamerika wurden Unruhen gemeldet.

In Europa indes machten sich immer mehr Menschen große Sorgen um die Umwelt, eine grüne Bewegung kam in Fahrt. Und in der Bundesrepublik Deutschland begann damals vor nunmehr vierzig Jahren, die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen, vielleicht mit nuklearen Sprengköpfen.

Die Deutschen, und weiß Gott nicht nur die Katholiken, hatten Angst. Der 88. Katholikentag, wünschte Münchens Erzbischof Friedrich Wetter, möge eine „gute Antwort“ auf die vielen schlech-
ten Nachrichten aus aller Welt sein. Unter dem Motto „Dem Leben trauen, weil Gott mit uns lebt“ (ein letztes Wort des Jesuitenpaaters Alfred Delp vor der Hinrichtung im Gestapo-Gefängnis) sollten Hoffnung und Zuversicht verkündet werden.

Als Forum war auf dem Messegelände eine „Friedenswerkstatt“ eingerichtet. Politiker, Wissen-
schaftler, Geistliche mischten sich zum Diskutieren unter die 75.000 Teilnehmer. Jeder war eingeladen, Stätten des Leidens und Helfens zu besuchen; eine Flüchtlingsunterkunft, ein Krankenhaus, ein Notquartier, das Grab der Geschwister Scholl, oder den Ort des Olympia-Attentats.

Etliche katholische Initiativen boten viel Alternatives bis Revolutionäres. Besonders „Pax Christi“ machte sich überall in der Stadt für die Friedensbotschaft stark. Die „Grünen Christen“ forderten den Abbau der kirchlichen Hierarchie. Ein Bittgang führte vom Schwabinger Bombentrümmerberg zu einer Wallfahrtskapelle im Wald. Nicht alle jedoch waren begeistert, als der„Kinderkreuzzug“ des Kommunisten Bert Brecht angesagt wurde.

Vierzig Jahre danach, auf dem 103. Katholikentag in Erfurt, war nun auch der alte Friedenskämp-
fer Wolf Biermann zu vernehmen.

Karl Stankiewitz


zugechickt am 2. Juni 2024

Überraschung

Jahr: 1984
Bereich: Religion