Materialien 2024
Leutnant Ungehorsam
Gedankenblitz 12
Dieser Tage ist ein Freund im Alter von 87 Jahren verstorben: der Kabarettist, Theaterdirektor und Buchautor Reiner Uthoff. Männer und Frauen wie seinesgleichen wären heute dringlicher denn je in den Ring gefordert. Uthoff war einer der letzten meiner demokratischen Aufbau-Generation, die bis zum Tod sehr konkret, unermüdlich und mit allen verfügbaren Mitteln gegen eine erzkon-
servative bis faschistische Rückkehr kämpften.
Diese Politiker (von Hildegard Hamm-Brücher bis Hans-Jochen Vogel), Publizisten, Historiker, Kulturträger, Kirchen- und Arbeiterführer haben die oft – etwa hinter völkischen oder moraltrie-
fenden Vorgaben versteckten – Gefahren beizeiten erkannt sowie bekannt gemacht, verhindern konnte sie das erneute Erstarken der Ultrarechten nicht. Schon gar nicht konnten es die Satiriker. So ähnelten sie Vorgängern wie Kurt Tucholsky oder Bert Brecht („der Schoß ist fruchtbar noch“).
Reiner Uthoff führte, mit nur wenigen Freunden, einen Krieg auf dem Schlachtfeld seines Schwa-
binger „Rationaltheater“. Zu den Besuchern gehörten auch Willy Brand und der bissige Herbert Wehner, der den SPD-Flüchtling als „freischwebendes Arschloch“ anpflaumte. Dieser agitierte bald auf Bühnen in 65 anderen Städten, auf offener Straße und vor Gefangenen im Knast. Es war ein Krieg gegen Bourgoisie und Bürokratie, gegen Mucker und merkwürdige Medienmacher, vor allem aber gegen Alt- und Neunazis. Ein Krieg, dem ich gern und laufend Schützenhilfe geleistet habe, während ich die seinerzeit weit berühmtere „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“ in meinen auswärtigen Zeitungen kritisierte, dass sie neuerdings mehr lache als schieße.
Nach siebenjährigem Krieg, nach 25 Programmen, zahllosen Hausdurchsuchungen, beschlag-
nahmten Dokumenten und 37 Strafverfahren, die schlimmstenfalls nur in Bußgeld endeten, musste der ungehorsame Bundeswehr-Leutnant d.R. kapitulieren. 2007 ließ Reiner als Nachwort für mein Buch „München 68“ nochmal Glanz und Ende der Außerparlamentarischen Opposition spöttisch Revue passieren. Er zog ein resigniertes Fazit: „Es kam, wie 1968 nicht verhindert.“
Danach machte Reiner mit seiner Frau und stets ständigen Mitarbeiterin am Isartorplatz ein kleines Café auf, wo ich ihn oft besuchte und heute ein Uigure kocht. Max Uthoff, der früh ein-
geschulte Sohn, führt das satirisches Erbe auf hohem, vielleicht allzu hohem Niveau weiter, während das deutsche Kabarett, insgesamt, abgesehen von wie Christian Springer und wenigen anderen, immer mehr von platten „Comedians“ bedient wird.
Karl Stankiewitz
8. Juni 2024