Materialien 1986
Mit Goethe unterwegs
Gedankenblitz 33
Unsere grüne Außenministerin Annalena Baerbock turt wieder mal um die Welt. Diesmal geht es um die Zukunft des Goethe-Instituts, das derzeit 151 Standorte in 98 Ländern betreibt. Allerlei Reformen stehen an, nicht zuletzt aus geostrategischen Gründen: Weniger Präsenz hier, neue Schwerpunkte dort. Und dabei soll der Etat, im Vorjahr rund 246 Millionen Euro, deutlich redu-
ziert werden.
„Goethe“ war für mich über Jahre hinweg eine ausgiebige Informationsquelle. Der bloße Name des Großdichters genügte den – zunächst wenigen – Mitarbeitern in der Zentrale des Goethe-Instituts zu dessen Kennzeichnung. Sie residierten in einem vornehmen Altbau am Münchner Lenbachplatz und operierten weltweit, in einigen „neutralen“ Metropolen konkurrierend mit einem ähnlichen Kulturvermittler der DDR, der mit dem Namen Humboldt warb.
Von Haus aus sollten die Mitarbeiter „von Goethe“ – im Auftrag und mit Geld des Auswärtigen Amtes – nur die deutsche Sprache und die Kulturtradition im Ausland pflegen. Doch schon bald nach der Neugründung 1951 begaben sich ambitionierte Goetheaner in die weite, diverse Welt der Kulturpolitik. Statt Deutsch zu lehren und statt Trachtentänzer auszusenden, ließ man selbst in fernsten Städten heißen Jazz zelebrieren und heiße Themen diskutieren, immer ein bisschen links von der Mitte her. Kritik und Selbstkritik an bundesrepublikanischen Zuständen gehörten fest zum Programm.
Derlei Eigenmächtigkeit konnte konservativen Aufpassern kaum gefallen, Insbesondere Franz Jo-
sef Strauß, der Weltpolitiker aus Bayern, hat sich wiederholt als scharfer Kritiker hervorgetan. Klaus von Bismarck aber, WDR-Intendant und zwölf Jahre lang Präsident des Goethe-Instituts, und mehr noch sein Geschäftsführer Horst Harnischfeger, parierten alle Angriffe mit Bravour. Ich wiederum hatte ausreichend Stoff für Berichte über das „Gerangel um Goethe“.
Kaum eine Prominenz der bundesdeutschen Literatur- und Musikszene, von Amery bis Zwerenz, kaum eine Koryphäe der Wissenschaften, Nobelpreisträger inklusive, welche für die Macher in München, d.h für Deutschland, nicht irgendwann irgendwo unterwegs war. Ein paar Mal schickte Goethe auch mich zur Berichterstattung auf Reisen. So etwa Im Oktober 1980 per Schiff zu einer „Deutschen Woche“ nach Malmö, wo die Schweden vom noch aufstrebenden Konstantin Wecker begeistert und vom ausgestrahlten Holocaust-Film entsetzt waren.
Im Juni 1985 wurden wir Münchner Goethe-Freunde in den Badeort Finale Ligure eingeladen, wo wir im Verein mit Ökologen versuchen sollten, italienische Kollegen und Touristiker mit dem noch kaum bekannten Problem der Meeresverschmutzung vertraut zu machen. In Turin bat uns das dortige sehr aktive Goethe-Institut zum Gespräch mit kommunistischen Intellektuellen über den aktuellen Brecht. In Ljubljana erzählten namhafte Schriftsteller, von Erich Loest bis Herta Müller, dem slowenischen Publikum zur Wendezeit, wie sie dem Staats-Sozialismus entronnen waren.
Mein Interesse an Goethe erlosch etwas, als das zum globalen Netzwerk aufgeblähte Institut seine wichtigsten Veranstaltungen nach Berlin verlagerte und im Münchner Kasernenviertel einen rie-
sengroßen neuen Zentralsitz errichtete, dessen eigentliche Adresse – Dachauer Straße – Goethe bis heute schamhaft verschweigt.
In einem anderem Sinne war ich aber weiterhin „mit Goethe unterwegs“. Mit Alwine bewanderte ich einzelne Etappen auf Spuren der „Italienischer Reise“ von 1786, zwischen München, wo der 27jährige Ausreißer Obst und „schöne Sachen“ kaufte, und Malcesine am Gardasee, wo Goethe, der unter dem Decknamen Moeller reiste, beim Abbilden einer Festung beinahe als Spion verhaftet worden wäre.
Karl Stankiewitz
8. August 2024
zugeschickt am 9. August 2024