Materialien 2024
Atommüll
Gedankenblitz 35
Nach neuesten, überraschenden, viele erschreckenden Nachrichten kann das Endlager für den deutschen Atommüll erst im Jahr 2074 realisiert werden. Ohnehin muss vorerst weiter gesucht werden nach einem geeigneten, sicheren Standort . Eine schier unendliche Geschichte, die ich jahrzehntelang in Zeitungen, in einem Buch („Babylon in Bayern“) und im Magazin MUH wie-
dergegeben habe. Hier eine Zusammenfassung über die Anfänge:
Februar 1960. Bayerns Oberste Baubehörde erstellt bei Garching einen Musterbunker zur Lage-
rung radioaktiver Abfälle. Die Erfahrungen möchte Franz Josef Strauß für ein „Bundessammella-
ger“ nutzen. Inzwischen arbeiten in Bayern bereits 250 Betriebe und Forschungsstellen mit Iso-
topen und anderen „heißen“ Stoffen. Bei dem gefährlichen Abfall handelt es sich um schwach bis mittelstark strahlende Lumpen, Papier, Kleidungsstücke und ähnliche Materialien.
In den nächsten Jahren wächst der strahlende Müllberg in der Bundesrepublik bedrohlich an und die ersten, noch wenig sicheren Zwischendepots platzen aus allen Fugen. Deshalb lässt der Bund die Asse, ein stillgelegtes Salzbergwerke bei Wolfenbüttel (Niedersachsen), ab 1967 als Prototyp für die Endlagerung dafür „ertüchtigen“. Nachdem kritische Berichte über den ersten, noch geheimen „Atomfriedhof“ nicht verstummen, befördert der damalige Betreiber, die in München-Neuherberg streng abgeschirmte Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF), interessierte Münchner Journalis-
ten im Juli 1979 zum Ortstermin nach Wolfenbüttel, in Niedersachsen. Mir graute in der düsteren Unterwelt – und ich begann eine Reportage so:
Gelbe 200-Liter-Tanks, alle randvoll mit gefährlichen Rückständen aus Medizin, Forschung und Industrie und einer bitumenartigen Füllmasse, rollen über eine Rampe, werden von Roboterarmen gegriffen, automatisch aufgehängt und an Stahlseilen in einen Schacht versenkt. Die letzten 70 Meter kippen die Fässer völlig frei in eine riesige Kaverne bis auf 996 Meter Tiefe. Dort hinunter müssen Arbeiter einfahren und, zwar mit Schutzkleidung und Dosimeter, die Transportgeräte bedienen. Alles ganz sicher für Jahrzehnte, erklären uns die Fachleute. Die atomaren Mülleimer könnten noch dreißig Jahre lang strahlen. Es handle sich auch nur um schwache bis mittelstarke Radioaktivität.
Doch es dauert nicht lange, bis Gerüchte von Wassereinbrüchen und Instabilität des Gesteins zu Tage dringen. Eine „Gesellschaft der Freunde der Asse“ verklagt die Münchner Gesellschaft, die zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Bayern getragen wird. Es kommt zu einem Mo-
ratorium, das die GSF für neue Forschungen nutzt. Künftig übernehmen Sonden und Fernsehau-
gen die Kontrolle in den „Grabkammern“ der frühen Atomzeit. Menschen sitzen oben im Schalt-
raum. Auch sollen die Fässer „rückholbar“ sein – für die Endlagerung irgendwann in der Zukunft.
Die Zwischenfälle häufen sich trotzdem. Erste Fälle von Blutkrebs beunruhigen die Bevölkerung. Der Strahlenstreit entzweit Wissenschaftler und Politiker. 1995 beschließt die Bundesregierung das endgültige Aus für die Asse. Auf Jahre hin werden die verbliebenen Hohlräume der Salzstöcke ver-
füllt. Vier bis sechs Milliarden Euro an Investitionen und eine ungenannte Menge von Atommüll sollen hier nutzlos und für ewig begraben sein.
In dieser Zwangslage verfällt die Münchner GSF auf die wahnwitzige Idee, den ganzen Müll mittels der von ihr in der Sasse erprobten Robotertechnik einzupacken und vorerst in einem leeren Wa-
renhaus zu stapeln. Tatsächlich beginnt eine halbstaatliche Firma, die derlei Himmelfahrtskom-
mandos lange trainiert hat, 1991 mit dem Abbruch und dem Transport in verschiedene Zwischen-
lager. Die Arbeiter werden dort ständig überwacht, Staub und Aerosole abgesaugt. Alljährliche Kosten: rund 200 Millionen Euro. Endlagerung: ungewiss. Dann kam Gorleben, dann kam Wak-
kersdorf. Dann kamen schwer bewachte Containertransporte quer durch Europa. Probleme über Probleme. Und die Asse strahlt weiter.
Karl Stankiewitz
14. August 2024
zugeschickt am 15. August 2024