Materialien 1968
Kolonialismus
Gedankenblitz 34
Heribert Prantl ist ein Phänomen. Er steht ziemlich allein da mit seinem fundiertem Wissen aus Geschichte und Recht. Ein Wissen, das er als Journalist in eine jedem verständliche Sprache um-
münzt, die oft angereichert ist durch Persönliches oder durch passende Bibelweisheiten. Hinzu kommen ein starkes Engament und ein als Richter geschärfter Gerechtigkeitssinn. Ich schätze ihn außerordentlich, diesen Kollegen, der inzwischen Professor wurde und unermüdlich schreibt.
Obendrein ist Prantl für mich eine wichtige Informationsquelle. Denn er richtet den Fokus auch auf Themen und Örtlichkeiten, die selbst unsere großen Zeitungen eher im Dunkel lassen. (Dies ist übrigens, neben meiner Sehschwäche, ein Grund dafür, dass ich meinen Tagesbedarf an Informati-
on gern durch Abhören des weltläufigen Deutschlandfunks ergänze.)
Neulich hat der Mahner aus der Oberpfalz den Fokus nach Afrika gelenkt, genauer: nach Kamerun. In einer seiner Kolumnen erinnerte er an den Stammeskönig Rudolf Manga Bell, der 1914 einem Justizmord der deutschen Kolonialherren zum Opfer fiel. Erst jetzt wurde er rehabiliert. Damit komme die Aufarbeitung des verdrängten deutschen Kolonialismus endlich voran, meint Prantl. Zu diesem (gewiss abseitigen) Thema kann ich eine Erfahrung beitragen:
Im Spätwinter 1968 – in unserer gesättigten Republik bahnte sich eine Kulturrevolution an – lan-
dete ich mit einer ersten Gruppe deutscher Journalisten in Duala (heute: Yaoundé), der Haupt-
stadt von Kamerun. Ein Chor von acht alten Männern sang uns auf dem Hafenpier deutsche Volkslieder vor, die sie in altmodischer Sütterlinschrift in Schulhefte geschrieben hatten. Die schwarzen Senioren freuten sich riesig über unsere Ankunft und erzählten von ihrem Leben unter „Schutzherrschaft“ des deutschen Kaisers („Wenn ich nicht gehorchte, gab es fünf Schläge auf den nackten Arsch, und einen für den Kaiser extra.“). Die Altkameruner, wie sie sich nannten, beklag-
ten sich auch, dass man sie in Bonn vergessen habe. Als die neue deutsche Invasion, die der Ferntouristen, bald danach begann, sangen sie: „Alle Vöglein sind schon da.“
Nach Vorstellung westdeutscher Reiseveranstalter sollte das westafrikanische Land Drehscheibe des Kontinents werden. Doch das blieb ein kurzes Abenteuer. Wilde Gestalten, Krokodil- und Schlangenfänger, dienten sich als Safariführer an. Andere ergötzten sich an der schwarzen Haut blutjunger Mädchen. Auch wir Journalisten ließen uns nicht davon abhalten, in einem Dorf den Huldigungen der weiblichen Bevölkerung vor ihrem „König“ zuzuglotzen. Bald war ein Todesopfer zu beklagen. Ein 79-jähriger Urlauber hatte sich zu viel zugemutet im tropischen Busch. Bei einem Tamtam fielen drei deutsche Damen in Ohnmacht, als ein Tänzer mit einem Hieb einer Ziege den Kopf abschlug.
Jahre später hörte ich auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin die Vertreter west-
afrikanischer Länder klagen: über die neue Ausbeutung, die Prostitution, die Entwürdigung und andere Negative, die der Tourismus mit sich gebracht habe. Inzwischen hatten die deutschen Charterflug-Unternehmen diese Destinationen schon wieder gestrichen wohl weniger aus ethi-
schen als aus wirtschaftlichen Gründen. In Ostafrika indes, Schwerpunkt Kenia, wucherte weiter, was heute als „Neokolonialismus“ angeprangert wird. Dorthin hat mich keiner der sonst so groß-
zügigen Veranstalter mehr eingeladen. Zumal ich schon nach dem ersten Besuch mit einer Christ und Welt-Reportage („Die Manipulation der Wildnis“) angeeckt war.
Karl Stankiewitz
12. August 2024
zugeschickt am 13. August 2024