Materialien 2024

Generation Rätselhaft

Gedankenblitz 28

Dalton Sly Del Salto Blanco, Mittelschule in München, Migrationshintergrund, scrollt regelmäßig durch Tiktok. Ihm vermitteln Social Media den Eindruck: „Boaha, meine Zukunft wird beschissen.“ Das könne einen triggern. Vivienne, Gymnasium Regensburg, scrollt abends durch Insta. Auch für sie ist Zukunftsangst „schon noch ein großes Ding“. Es hänge davon ab, welche Bubble und wel-
chen Algorithmus man bei den Sozialen Medien habe. Leopold, Landesschülersprecher, ist wütend auf die Politik. Die verstehe die Jugend nicht, „weil wir die erste Generation sind, die so komplett anders ist als alle anderen“. Leopold informiert sich zuerst über Wahl-o-mat. In seiner Klasse in Gunzenhausen haben 20 Prozent die AfD gewählt. (Die Zitate entstammen einem Gruppeninter-view der SZ mit 16- und 17-Jährigen aus verschiedenen Schulen.)

Wahrlich, ich lebe in einer fremden Welt. In einer Welt mit fremder Sprache, fremden Regeln und Gewohnheiten. In dieser neuen Welt der User und Gamer und Influencer werde ich alter Mann kaum mehr heimisch werden. Nicht zuletzt wegen absoluter Verständnislosigkeit habe ich die Ar-
beit an meinem letzten Buch eingestellt. Obwohl es gut halb fertig und vom Verlag angenommen war. Auch wollten mir eine junge Kollegin und meine Enkelinnen helfen, die fremde neue Welt zu verstehen und zu beschreiben.

Die Geschichte der Jugend in ihren Münchner Erscheinungsformen wollte ich erzählen. Angefan-
gen mit den verschiedenen Wandervogelbewegungen. Dann die Jeunesse doree der Zwanziger Jahre, die Pimpfe der Nazis, bei denen ich selbst war. Nach dem Krieg die Teenager und Twens, die Halbstarken, Rocker, Popper, Hippies, Punks, Junkies, pseudoreligiöse Sektierer, Achtundsechzi-
ger, junge Alpinisten, Ableger der politischen Parteien. Und so weiter. Im zweiten Teil des Buches wäre eine lokal geprägte Dokumentation schwierig geworden. Denn zuletzt tauchten derart viele Subkulturen mit utopischer, teils gegensätzlicher Orientierung auf, dass sich kaum noch ein roter Faden finden lässt.

Der Ordnung halber habe ich mir die Mühe gemacht, einige Titel von Büchern und Essays aus den letzten Jahren zusammenzustellen, mit denen Soziologen, Pädagogen, Publizisten oder Betroffene versucht haben, diese „neue Jugend“ oder Teile davon einzugrenzen: Wendegeneration, Generati-
on Golf, Generation Maybe, die heimlichen Revolutionäre, erste digitale Generation, die Vaterlo-
sen, die Ohnmächtigen, Generation Star Trek, die Unterschätzten, Generation Aussteiger, Genera-
tion Grün, Generation Fake. Der Satiriker Helmut Schleich fügte noch die Generation Dünkel hin-
zu. Als Gattungsbegriff durchgesetzt haben sich nur die heute bestimmenden Millennials, die ge-
gen Ende des 20. Jahrhunderts geboren sind, und die fast schon legendäre Generation X, die mal so, mal so beschrieben wird. Ich plädiere eher für die Generation Rätselhaft.

Karl Stankiewitz
21. Juli 2024

zugeschickt am 23. Juli 2024