Materialien 1946
Das Haidhausen-Gefühl
Gedankenblitz 21
Haidhausen ist meine Zweite Heimat. Nicht nur, weil meine besten Schulfreunde, der Franzi und der Schorsch, eben dort wohnten (und heute mein jüngerer Kumpan Max seine fünfköpfige Fami-
lie dort angesiedelt hat). Gewiss auch nicht deshalb, weil ich seit Jahrzehnten, meist nach Sportun-
fällen, ein „Stammpatient“ im immer größer werdenden Krankenhaus „Rechts der Isar“ bin, wohin mich zudem der dort alljährlich organisierte Deutsche Chirurgentag als Berichtertatter rief. Viel später lockte der Gasteig.
Das Heimatgefühl für Haidhausen hat andere Wurzeln. Dieses weniger zerstörte, über die Maximi-
liansbrücke gut erreicbare „Franzosenviertel“ (der inoffizelle Name sollte an den „siegreichen Siebzgerkrieg“ erinnern) war nach dem Zweiten Weltkrieg zur Anlaufstelle für junge Münchner geworden, besonders beim abendlichen Ausgang, während in der Innenstadt und im früheren Künstlerviertel Schwabing noch Bombenschutthalden gähnten. In diesem Haidhausen organisier-
ten unsere amerikanischen Besatzer und „Erzieher“ speziell für die Jugend allerlei Konzerte und Spektakel (beispielsweise ein Seifenkistlrennen). Hier etablierten sich tolle Jazzbands und Nacht-
clubs, beispielsweise das „Birdland“ und der „Blaue Engel“, wo Kellnerinnen zu später Stunde barbusig auf Tischen tanzten und der Wirt Sexfilmchen flimmern ließ. Gern saß ich mit meinen ortsansässigen Spezln im Hofbräukeller, wo ein Weiberl mit einem großen Korb und dem Spruch „Frische Brezen, scheener Herr“ durch den Biergarten schritt.
Eines Abends im Jahr 1946 machte an der Preysingstraße eine der ersten und bald besten Münch-
ner Kleinkunsttheater auf, der „Bunte Würfel“. Viele Bühnenkünstler (wie die Berliner Göre Claire Walldorff) versuchten hier ihre Karriere fortzusetzem, Andere starteten neu (wie der noch sehr magere Gert Fröbe und spätere Lieblinge des Bayerischen Rundfunks). Bunt zusammengewürfelt hatten das Ensemble zwei jüdische Komiker, die das KZ Dachau überlebt hatten. Ich erinnere mich an das letzte Programm mit dem trotzigen Titel „München lernt wieder lachen“. Eingeleitet wurde jedes Mal mit einem halblustigen Duett: „Wie geht’s Ihnen, Herr Fröhlich?“ – „Wie geht’s Ihnen, Herr Schön.“ Nach einigen zeitkritischen Nörgeleien trennten sich die Herren mit dem resignierten Refrain: „Ich denke so allmählich, es könnte besser gehn.“
Eher traurig als gewollt lustig war auch der letzte Auftritt von Karl Valentin. Der spindeldürre Spaßmacher schlief oft im „Bunten Würfel“, weil ihm der nächtliche Heimweg nach Planegg wohl zu umständlich war. In der winterkalten Garderobe hat sich seine chronische Bronchitis ver-
schlechtert. Infolge dessen, so wird vermutet, soll Valentin gestorben sein, am Rosenmontag.
Nur noch kurze Zeit rollte der “Bunten Würfel“.) Jetzt hat Hermann Wilhelm in seinem originellen Haidhausen-Museum eine Ausstellung über die legendäre, wenn auch wenig bekannte Bühne er-
öffnet. Gern will ich diese kleine Erinnerung beisteuern. Zumal der ehemalige Künstler und Altsozi auch mir zum 90. Geburtstag im Jahr 2018 eine Ausstellung gewidmet hatte. Als „Reporterlegen-
de“ stellte er mich aus. Der Hermann hätte mir die Ehrung eher als Haidhausen-Fan angedeihen lassen sollen.
Karl Stankiewitz
7. Juli 2024
zugeschickt am 8. Juli 2024