Materialien 1981
Auf Holz geklopft
Anläßlich eines mit Gastvorträgen nur so gespickten München-Trips beehrte der linke Marburger Kunst-Philosoph Hans-Heinz Holz auch die kleine, aber treue Gemeinde dcs TREPTOW-Haupt-
seminars (Thema: »Materialiemus und Idealismus«), um mit Vortrag und anschließender Diskus-
sion zum tieferen Verständnis des KPI-Gründers, Philosophen und Kulturoptimisten Antonio Gramsci (1891 – 1937) beizutragen.
Leider kam es trotz der »Gramsci innerhalb des internationalen Marxismus zukommenden großen Bedeutung« weder zu der vorgesehenen Einhelligkeit im Verständnis für diesen Ahnherrn des Re-
visionismus noch zur ungestörten Feier der eignen Fähigkeiten, die im Problematisieren der gro-
ßen »in der BRD noch existierenden Schwierigkeiten in der Diskussion über Gramsci« liegt. Denn kaum hatte Holz in einem dreiviertelstündigen Vortrag an Gramsci lobend hervorgehoben,
– daß dieser als einer der ersten »zu reflektieren begann auf die Bedingungen des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus«, wobei
– einerseits eine »mechanische Trennung von Basis und Überbau« völlig unzulässig, andererseits die Erfindung einer »apparativen Zwischenschicht« durchaus als schöpferische Weiterentwicklung zulässig sei, und
– daß folglich gerade die Aufnahme der je nationalen Kultur (Überbau) durch die Arbeiter ebenso unvermeidlich und bedingungsreflexiv sei wie das Eindringen der Partei der Arbeiter (warum nicht der Arbeiter?) in das bürgerliche Rechtssystem (Zwischenschicht),
da wiesen auch schon renitente Diskutanten vom Arbeitskreis Philosophie (internes Motto: Kein Tag ohne destruktive Kritik!) unter Hintanstellung von Holz’ Bemühen um »abrundende Fragen« auf,
– daß man nicht an der Erklärung von Staat und Gesellschaft interessiert ist, wenn man dauernd die Wechselwirkung von Basis und Überbau belabert, ohne vorher auch nur im geringsten die an-
geblich so arg Wirkenden selbst untersucht zu haben;
– daß in der Reflexion auf die Bedingung der Veränderung die Absage an die Veränderung der Be-
dingungen steckt, indem man erst abwarten muß (Gramscis Begriff vom »Grabenkrieg«), bis die Selbstveränderung der Bedingungen diese veränderungsreif macht;
– und daß schließlich die Übernahme von Staatsfunktionen und bürgerlicher Kultur durch die Proleten bzw. deren Partei bereits auf die beste Übereinkunft mit der bürgerlichen Welt schließen läßt.
Derart zur Sache gezwungen griff Holz tief in die Trickkiste der »Dialektik« und führte anschaulich vor, daß die »marxistische Philosophie« seit Gramsci ihre Fortschritte auch nur in Richtung Idea-
lismus gemacht hat: Da wir schließlich »in einem ungeheuer komplizierten Zusammenhang von sich wechselseitig bedingenden Faktoren leben«, kann man nicht einfach beispielsweise im neuen Ehe- und Familienrecht die staatlich ins Werk gesetzte Doppelbelastung der Frau in Haushalt und Beruf kritisieren, sondern muß genau das als Bedingung für die »neugewonnene Selbständigkeit« der Frau hochhalten. Holz wäre halt samt TREPTOW und mitgebrachten Konsorten kein zeitgemä-
ßer Linker, würde er nicht noch jeder Effektivierung des »kulturellen Überbaus« für Staat und Ka-
pital eine Funktion für die Sache des Fortschritts abgewinnen, und sich so an seine Spitze stellen. Da bleibt nur der Hinweis darauf, daß die »Bedingungen« anscheinend gar nicht so schlecht sind – wenn man sie nicht verändern will.
Münchner Hochschulzeitung (MG) Ausgabe LMU und FHS 15 vom 11. Juni 1981, 1 f.