Flusslandschaft 1949

Zensur

Das Verbot des Balletts Abraxas von Werner Eck durch Kultusminister Hundhammer wird am
26. Januar von einer Landtagsmehrheit gebilligt. Das Ballett war bei allen fünf Aufführungen ausverkauft. Es hagelt Proteste. – 22. Februar 1949 – „Kultusminister Aloys Hundhammer recht-
fertigt vor dem Landtagsplenum die Absetzung des Balletts ‚Abraxas’ von Werner Egk nach nur fünf Aufführungen im Münchner Prinzregententheater. Der allgemein von der Presse als ‚Auffüh-
rungsverbot’ dargestellte Vorgang führt über Monate zu einem heftigen Streit um die Freiheit der Kunst. – Während der Kultusminister in der Fragestunde am 26. Januar den staatlichen Geldauf-
wand für eine ‚Schwarze Messe’ in den Vordergrund stellte, spricht er in seiner Antwort auf die Interpellation am 22. Februar von einer ‚Beleidigung der Mehrheit des Volkes’ und einer ‚Verlet-
zung der religiösen Gefühle’. Obwohl Hundhammer darauf besteht, dass er das Stück lediglich abgesetzt habe, betont er, er könne das ‚Verbot vor der Geschichte und vor der Kultur’ verantwor-
ten. Kern des Anstoßes ist für Hundhammer die Szene, wo sich der Satan mit der widerstrebenden Archiposa ‚in einer Art sakrilegischer Zeremonie’ vereinigt, wie es im Textbuch heißt. – Otto Be-
zold, der im Namen der FDP-Fraktion die Große Anfrage an Hundhammer richtet, pocht auf die Freiheit der Kunst, denn Moral könne nicht ‚mit Polizeiverboten, mit ministeriellen Verboten, mit Verboten überhaupt’ geschaffen werden. Bezold warnt vor kulturellem Provinzialismus, wenn in Bayern Werke verboten würden, die in der ganzen übrigen kultivierten Welt gesehen werden könnten. – Auf eine Parlamentsdebatte über Hundhammers Stellungnahme verzichten SPD und FDP, da Kulturfragen nicht mehrheitlich entschieden werden könnten. Werner Egk, der der Sitzung beiwohnt, erklärt anschließend, er wolle die Staatsoper wegen Vertragsbruch verklagen und gegen Hundhammer Beleidigungsklage stellen. Es kommt wegen des Schadenersatzes zu einem jahrelangen Rechtsstreit, der mit einem Vergleich endet. – Der ansonsten eher konservativ eingestellte ‚Münchner Merkur’ nennt es ‚niederschmetternd’, dass nach Bezolds ‚feinsinniger gebildeter Rede’ keine Aussprache zustande kam, weil die Frage ohnehin durch Mehrheitsbe-
schluss entschieden werde. Die Zeitung mutmaßt, dass ohne Parteisolidarität ein für den Kultus-
minister ‚peinliches Ergebnis’ zustande gekommen wäre. – Die amerikanische Besatzungsbehörde beobachtet den ‚Abraxas’-Skandal mit Besorgnis, weil der Staat in die künstlerische Freiheit einge-
griffen habe. Von amerikanischer Seite sieht man jedoch keine Rechtsgrundlage für ein Eingreifen. – Ein Nachspiel im Landtag am 14. Juni 1950 offenbart, dass Hundhammers Parteifreunde nicht geschlossen hinter ihm stehen. Der FDP-Antrag, das Spielverbot rückgängig zu machen, wird mit knapper Mehrheit abgelehnt. Allerdings trägt dazu die Stimmenthaltung der Freien Fraktions-
gemeinschaft bei. Hundhammer brüskiert in der heftigen Debatte seine Kritiker mit dem Satz: ‚Diejenigen, die die Schweinerei sehen wollen, sollen ihr ruhig nachlaufen.’ Er spielt damit auf erfolgreiche Aufführungen von ‚Abraxas’ in mehreren Weltstädten an.“1

Den Amerikanern gehen Artikel deutscher Autorinnen und Autoren in der von ihnen herausgegebenen Neuen Zeitung zu weit; sie entlassen sieben von ihnen.2


1 Peter Jakob Kock, Der Bayerische Landtag. Eine Chronik, Bamberg 1991, 57 f. – Bezold meinte, „wir stehen auf einem alten Kulturboden, wir stehen aber auch – und hier geht die Frage ins Politische – auf einem alten Boden DEMOKRATI-
SCHER FREIHEIT. Es war in Süddeutschland, wo die Flamme von 1848 emporloderte. Es war in Süddeutschland, wo Männer sich deshalb ihrer Gesundheit und ihres Lebens berauben ließen, um für die Freiheit der Kunst und Wissenschaft zu kämpfen … Wie lange soll es noch geschehen, dass dieses Land, das sich jahrhundertealter Kultur rühmt, immer wieder durch derartige Zwischenfälle in den Augen Europas und der Welt herabgesetzt und zum Gelächter wird?" Stenographi-
scher Bericht über die Verhandlungen des Bayerischen Landtags. einhundertste öffentliche Sitzung. Nr. 101, Dienstag, den 22. Februar 1949, III. Band, 638 ff. – „In einer lapidaren Nachricht wird mitgeteilt, dass mit Wirkung vom 01.01.2010 die Abraxas Musical Akademie München BAföG-berechtigt ist – als Gleichwertigkeitsanerkennung einer staatlich genehmigten Berufsfachschule nach BAföG durch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst ausgespro-
chen. Na also. Erfüllt sich in diesem Vorgang – wenn auch in einem Vorlauf von schlappen sechs Jahrzehnten – nicht jenes Ideal des Abraxas, wie es von Hermann Hesse formuliert worden ist, dass ‘im Zeichen des zwiegesichtigen Abraxas-Gottes die neurotisierende Aufspaltung der Wirklichkeit in zwei Welten’ – die helle, reine, ‘göttlichoffizielle’ mit ihren festen Nor-
men auf der einen, die dunkle, unheimliche, ‘totgeschwiegene teuflische’ Welt der Abenteuer, der Gefahren und ungebän-
digten Gefühle’ zu einer Art höheren Einheit führen kann?’ Geht doch.“ Gerd Holzheimer: „Eine Art von höherer Einheit. Kultur und Politik in Bayern" in: Forum Politikunterricht 1 vom März 2012, 47.

2 Siehe „Repressive Maßnahmen“ von Gustav René Hocke.

Überraschung

Jahr: 1949
Bereich: Zensur

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