Flusslandschaft 1982

Kunst/Kultur

BILDENDE KÜNSTE

Moderne Kunst begeistert, wichtige Namen sind in aller Mund. Man drängt sich um die Stars. „Sie sollten jetzt einen Warhol kaufen, hier, diese ‚Electric Chair Reproductions‘, noch sind sie bezahl-
bar …“. Nicht nur konservative Kunsthistoriker runzeln da die Stirn: „… Es sind die Fassaden, die sich zu ihrem Zustand bekennen. Erst dahinter spiegeln sich die Gedanken der unaussprechlichen Schrecken, die die Passivität von Mauern hervorrufen. Die Tendenz, Oberflächlichkeit, Banalität und Alltag zur Kunst zu erhöhen, ist bei den Herren Künstlern gleichermaßen Methode. Darin unterscheiden sie sich auch nicht von den Künstlern, die Menschen seit Anbeginn mit ihrer Sicht-
weise des Lebens konfrontierten. Da es aber offenbar im 20. Jahrhundert, und nicht nur mit ihm zu Ende geht, erscheint die Oberflächlichkeit einer Straßenbahnhaltestelle, als einem Ort des War-
tens auf die tägliche Langeweile am Arbeitsplatz oder in der abendlichen Kneipe der Wirklichkeit angemessen. Nur, wer will sich diesen Schuh anziehen, dass sich auch seine eigene Oberflächlich-
keit dort so widerspiegelt, wo Kunst ein Abbild der gesellschaftlichen Verhältnisse darstellt? …“1

Bernd Schmidt-Pfeil aus Bergkirchen im Dachauer Land, drei Jahre Flugzeugelektroniker bei der Luftwaffe, dann Bordelektriker auf See, zeigt am Sonntag, 2. Mai, auf einem Acker beim verlasse-
nen Dorf Franzheim – hier im Erdinger Moos entsteht demnächst der Großflughafen München II – vor 500 Leuten einen abgestürzten Starfighter der Bundeswehr. Ein in Aluminium gegossener to-
ter Pilot hängt hilflos angeschnallt im Cockpit des Düsenjägers. 4.000 Watt-Lautsprecher erzeugen ohrenzerreißenden Absturzlärm und Detonationsknall. Den Ort des „Absturzes“ hat der Bund Na-
turschutz
als Sperrparzelle erworben. „Öffentliches Geld steckt nicht in der Aktion, die bis zum kommenden Sonntag zu besichtigen ist. Lediglich auf Initiative ihres Sprechers, des Pfarrers Ralf Guggenmos aus Neufahrn, haben die Vereinigten Bürgerinitiativen gegen den Großflughafen bis-
lang 2.000 Mark für den Transport beigesteuert. Das Publikum spendete reichlich. Entscheidend ist für Bernd Schmidt-Pfeil aber die Aktion gegen den Strich: das, was sonst immer schnell einge-
ebnet und weggeräumt wird, mutwillig wieder aufzugraben; der Versuch, einen Zipfel des Entset-
zens sinnlich zu erfassen, das hinter Rüstungsdebatten und Raketenzählerei lauert: eine Art Anti-
these zu den ‚Tagen der offenen Tür‘ bei der Bundeswehr.“2

Die Münchner Malerin Simone Budzynski stellt in Solln ihre neuen Bilder aus. Auf zwei Bildern könnten primäre Geschlechtsorgane mit viel Phantasie identifiziert werden. Empörte Anwohner erreichen, dass die beiden Bilder abgehängt werden. Daraufhin erreichen Protestschreiben die Abendzeitung: „Es lebe die Phantasie. Ob Bilder von Simone-Yvonne unsittlich sind? Ich finde es unfassbar, aus der Ausstellung einfach Bilder unter dem Tisch verschwinden zu lassen. Wenn es Leute gibt, die eine derart schmutzige Phantasie haben, sollten sie keine Bilderausstellung besu-
chen. Die Bilder von Simone-Yvonne finde ich in den Formen nicht unsittlich. Und wenn Jugend-
liche gelacht haben, verstehen sie nichts von Kunst und gehören in keine Bilder-Ausstellung. Wer bestimmt,was Kunst ist oder nicht? Das kann doch nur die Künstlerin selbst. Es lebe die beflügelte Phantasie der Betrachter. Monika Beham, München 71 – Es ist eine Schande für München. Es ist unverständlich, da werden wirklich ganz harmlose, unrealistische Bilder aus einer Ausstellung ge-
nommen, die auch ich besucht hatte. Die Formen und Farben, die die Malerin Simone-Yvonne be-
nützt, sind ansprechend und schön! – aber keineswegs unsittlich! Es ist eine Schande für Mün-
chen! Rosemarie Lindner, München 70 – Prüdes München! Da kann ich nur lachen, wenn es nicht so ernst wäre, denn diese Zensur erinnert mich an vergangene Zeiten. Bekommt die Kunst jetzt wieder Manschetten? Nur zu! Ich werde aus diesem ‚Freistaat‘ endlich ausziehen. Waldemar Wim-
mer, München 2 – Noch nirgends habe ich solche unverbrauchte Kraft und Ausdruck in Bildern gefunden, wie in den Bildern von Simone-Yvonne! Jetzt möchte ich mir wirklich auch noch ein Bild von ihr kaufen. Fanny Rahm, München 71 – Eigentlich sollte Kunst freier sein dürfen. Wenn das Schule macht, müssen in Zukunft fast alle Illustrierten unter dem Ladentisch verkauft werden. Aber liegt es nur an der Phantasie, die derjenige hier nicht mehr braucht? Denn im Gegensatz zu den Bildern von Simone-Yvonne sind sie realistisch. Eigentlich sollte es doch der Kunst vorbehal-
ten bleiben, etwas freier sein zu dürfen. Es ist schön, wenn jeder in einem Bild andere Dinge ent-
decken kann, nur darf es nicht dazu führen, wie in Solln geschehen. Natonia Lindner, München“3

Die Adresse der ADAC-Hauptverwaltung lautet Am Westpark 8. Hier hat Otto Herbert Hajek 1972/ 73 die Architektur mit Raumzeichen, farbigen Turmbildern, Farbwegen sowie Objekten im Innen-
raum in ein Gesamtkunstwerk, das Innen- und Außenraum verband, verwandelt. Bei Umbaumaß-
nahmen werden 1982 Teile des gestalteten Raums zerstört. Vor dem Münchner Landgericht er-
wirkt Hajek ein Urteil, dass nach dem Urheberrecht ein Werk eines Künstlers wegen der von ihm hergestellten Bezüge zur Umgebung nicht woanders aufgestellt und auch nicht verändert werden dürfe.4

FILM

Am 30. Juli läuft in der Bundesrepublik und in Österreich der Film „Megaforce“ mit 200 Kopien an – allein in München in drei Kinos. Mit diesem Film wird die Welle unverhohlener amerikanischer Kriegspropaganda fortgesetzt. Nach den Filmen „Der Kampfkoloss“, „Der Söldner“ u.a. starten nun mit riesigem Werbeaufwand die Hollywood-Ideologen einen weiteren, mit direkter Unterstützung der US-Army hergestellten Film, der militärische Gewalt verherrlicht und Kinoenthusiasten an den Gedanken eines Krieges gewöhnt. „Megaforce“ zeigt einen begrenzten Krieg zwischen der schnellen Eingreiftruppe des „freien Westens“ und einer kommunistischen Söldnertruppe. Natürlich geht es um Rohstoffe, und wer gewinnt, ist auch klar. Mit solchen Filmen wird die Vorstellung von der Ge-
winnbarkeit von Kriegen im Zeitalter der Atomwaffen, die Notwendigkeit des Eingreifens amerika-
nischer Interventionstruppen und der Glaube an die Führbarkeit begrenzter Atomkriege in den Köpfen der Zuschauer verankert. „Megaforce“ und andere Kriegspropaganda-Filme bereiten die Zuschauer auf die militärische Lösung politischer Konflikte vor, indem sie den Krieg als notwendig, nützlich und sogar spannend darstellen. Nachdem die BRD von den USA zum Schauplatz für den begrenzten Atomkrieg und den Wirtschaftskrieg gegen die UdSSR ausersehen wurde, eröffnen Filme wie „Megaforce“ nun auch den Kulturkrieg. „Megaforce“ ist Bestandteil der ideologischen Kriegsführung gegen die weltweite Friedensbewegung. Vor Münchner Kinos kommt es zu Prote-
sten.

KARIKATUR

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Im Münchner Cartoon-Caricature-Contor in der Clemensstraße 27 ist die Ausstellung „vivat over-
kill“ von vierunddreißig Karikaturisten und Satirikern zu sehen.

THEATER

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VERLAGE

Die Münchner Harrisfeldwegpresse bringt subversive Bierfuizl unter dem Motto „Frei statt Bay-
ern“ auf den Markt.7

(zuletzt geändert am 31.8.2020)


1 die tagezeitung vom 11. März 1982, 8.

2 Süddeutsche Zeitung 101 vom 4. Mai 1982, 3.

3 Abendzeitung vom 28. Oktober 1982, 19.

4 „Verbotene Schikane – ,Weg mit dem, was nicht in den Kram passt‘ – Ein Jurist zur Frage, cb der ADAC ein Kunstwerk des Otto Herbert Hajek vernichten durfte (Journal 9/1982) – Ergänzend zu Ihrem Artikel teile ich Ihnen mit, dass es durch-
aus Fälle gibt, in denen eine Vernichtung von Kunstwerken als Schikane verboten sein könnte. So zum Beispiel, wenn je-
mand das gesamte Werk eines Künstlers aufkaufen wollte, allein um es zu vernichten und den Künstler mundtot zu ma-
chen. Auch der ebenfalls rechtswidrige Fall wäre denkbar, in dem jemand die Auflage einer Seriengrafik stark reduziert, um die Preise hochzutreiben. Ich teile im übrigen die Ansicht des von Ihnen zitierten Urheberrechtlers Eugen Ulmer, dass der Eigentümer des Originals dem Künstler dieses vor der Zerstörung anbieten muss. Dies gebietet nicht nur das Schikanever-
bot, sondern bereits die Güterabwägung zwischen den Interessen des Eigentümers und den Interessen des Urhebers, die bei jeder Vernichtung eines Kunstwerkes zu erfolgen hat. So hätte auch der ADAC vor der Zerstörung der Plastik von Hajek handeln müssen. Gernot Schulze, Rechtsanwalt München“ art. Das Kunstmagazin 11 vom November 1982, 21.

5 Guido Zingerl in: tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 140 vom Oktober 1982, 80.

6 Süddeutsche Zeitung 295 vom 23. Dezember 1982, 9.

7 Vgl. tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 139 vom Juli 1982, 80.

Überraschung

Jahr: 1982
Bereich: Kunst/Kultur

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