Materialien 1974
Es fehlt an Texten
Literatur für die Frauenbewegung
Die erste feministische Literaturproduktion der Bundesrepublik kommt aus einem alten Jagdhaus im Münchner Stadtteil Berg-am-Laim.
Ein enges Büro im ersten Stock ist das Reich von Ine, Uli und Kristine: drei jungen Frauen, die schon längere Zeit Herstellung und Vertrieb der Trikont-Bücher organisieren. Sie sind gleichzeitig in Münchener Frauengruppen engagiert und stellten dort fest, daß Literatur für die Arbeit dieser Emanzipationsgruppen so gut wie nicht vorhanden ist.
Im Gegensatz dazu hat die amerikanische, italienische und französische Frauenbewegung schon einen ansehnlichen Fundus an Texten veröffentlicht. So war der Gedanke naheliegend, die Erfah-
rungen der ausländischen Schwestern hierzulande durch Übersetzungen zugänglich zu machen.
Anfang 1974 taten sich Ine, Uli und Kristine mit einem knappen Dutzend weiterer Frauen zu-
sammen und gründeten den Verlag „Frauenoffensive“, der – die technisch-organisatorische Basis des Trikont-Verlags nutzend – den Gedankenaustausch zwischen den Frauengruppen in Berlin, Aachen oder Erlangen anregen soll.
Wichtig war auch das Motiv, selbst schreiben zu wollen, den Frauen in den deutschen Gruppen die Gelegenheit zu geben, sich und ihre Situation schreibend zu erfahren. Feministische Romane, die die „Frauenoffensive“ herausbringen will, sollen in Zukunft Identifikationsmöglichkeiten auch für diejenigen Frauen anbieten, die noch nicht mit der Emanzipationsbewegung in Berührung gekom-
men sind. Mit musikalischer Unterstützung einiger Berlinerinnen hat die Offensive auch eine Schallplatte mit Liedern aus in- und ausländischen Frauengruppen besungen; sie wird inzwischen unter dem Titel „Von heute an gibt’s mein Programm“ vertrieben.
Eher etwas für Theoretikerinnen ist dagegen das Buch „Lohn für die Hausarbeit“, in dem überwie-
gend übersetzte Texte der italienischen Gruppe „Lotta Femminista“ gesammelt sind. Sie fordern, daß die Arbeit, die fast ausschließlich die Frauen in Haushalt und Familie leisten, genauso bezahlt wird wie die Arbeit in Büros und Fabriken.
Ohne ein gewisses Maß an Rivalität scheint auch die junge deutsche Frauenbewegung nicht auszu-
kommen. In West-Berlin, wo sich inzwischen ebenfalls ein feministischer Verlag „Frauen“ aufgetan hat, wird geargwöhnt, die Münchner Schwestern ließen sich als Anhängsel eines „Männerverlags“ mißbrauchen. Im Jagdhaus in der Josephsburgstraße weist Uli diesen Verdacht zurück: „Was unsere Autonomie betrifft, so haben wir die Vereinbarung getroffen, daß wir auf die allgemeine Trikont-Produktion keinen Einfluß nehmen und umgekehrt die Genossen keinen Einfluß nehmen auf unsere Frauenoffensive-Reihe.“
Frauen in der Offensive – Lohn für die Hausarbeit oder: Auch Berufstätigkeit macht nicht frei. Reihe Frauenoffensive im Trikont, München 1974, 165 Seiten, 7.80 DM.
Von heute an gibt’s mein Programm. Lieder von Frauen. Best.-Nr. L. 35 Stereo LP 33/30, 18,– DM.
Claudia Pihl
Zeit und Bild. Frankfurter Rundschau am Wochenende 8 vom 22. Februar 1975, V.