Materialien 1947

Bayrisches Panoptikum

Nur hereinspaziert nach Bayern, ihr alle, die ihr ein schlechtes Gewissen habt und eine anrüchige Vergangenheit, wir können euch brauchen, wir sind wieder einmal die Ordnungszelle und der gottgewollte Obrigkeitsstaat mit oberhirtlich genehmigtem Schwarzen und Grauen Markt, mit hochkompensierter Wirtschaft und unbehelligt total diktierender Bürokratie! Wir sind daran, den antikollektivistisch-ultramontanen Gottesstaat, mit direktem Telefonanschluß nach Rom, zu gründen! Wir geben wieder vierfarbige Beichtzettel mit vornehmer Papierspitzendrapierung aus, ohne die hier bald keine Lebensmittelkarten mehr zu beziehen sein werden! Wir fabrizieren ein unabhängiges Musterländle ohne Preußen und Ketzer und predigen den heiligen Kreuzzug gegen den blutschänderischen Umgang mit Norddeutschen. Wir lehnen jede Verantwortung für die Ver-
gangenheit ab und bauen auf eine Zukunft mit auf Kompensation aufgebautem Hochfrequenz-Fremdenverkehr. Hereinspaziert!

Nieder mit dem gottlosen Sozialismus, der an unseren sakrosankten Geldsack rührt! Fort mit einer Bodenreform, die es wagt, den angestammten Großgrundbesitz mit Fideikommissen und adeligen Vorrechten anzutasten! Kampf einem Materialismus, der beweisen will, daß auch der Arbeiter ein Mensch ist und Lebensrechte hat! Hoch die Tradition, hoch das angestammte erlauchte Herrscher-
haus! Wir fordern Wiedereinführung der alten adeligen Grundrechte! Die erste Nacht gehört uns! Grund und Boden sind unser alleiniges Eigentum, mit dem wir tun, was uns paßt!

Wir fordern Wiedereinführung der Prügel-, Bock- und Prangerstrafe auch für Erwachsene! Wir fordern sofortige Konstituierung einer Keuschheitskommission mit dem Vorrecht für Oberbür-
germeister, ohne Badehose sich in öffentlichen Bädern amüsieren zu dürfen!

Wir kennen nur eine Obrigkeit von Gottes Gnaden und Untertanen, die unbeschränkt Steuern zu entrichten und den Mund zu halten haben. Wir verlangen ein Pressegesetz, das, bei Redakteuren wenigstens, die niederen Weihen zur Grundbedingung macht und jede Zeile der Zensur des Epis-
kopates unterwirft.

Daß wir den Marxismus als Hirnprodukt des Teufels verdammen und bis zum letzten Hauch von Mann und Roß den Kollektivismus bekämpfen, ist klar. Wer Knecht ist, hat Knecht zu bleiben und sich von den nicht aufgerufenen Abschnitten der Lebensmittelkarte zu ernähren. Dafür darf er an Zwangsexerzitien teilnehmen und nach Konnersreut und Altötting wallfahrten.

Wir geben der Kirche zurück, was ihr seit der Säkularisation geraubt wurde, und machen Bayern zum Universalkloster. Thron und Altar werden gemeinsam die gotteslästerlichen Ideen bekämp-
fen, die als rote Sturmflut gegen das weiß-blau-weiß-gelbe Bollwerk anbranden. Ihr werdet stau-
nen, was wir alles auf den Index setzen und mit dem Bann belegen. Wir verlangen Wiedereinfüh-
rung der Carolina und des Hexenhammers. Das Holz, welches heute nutzlos zu glaubensfeindli-
chen Zeitungen verschwendet wird und bei Waldbränden zugrunde geht, ist viel rentabler zu Scheiterhaufeu für Marxisten und Ketzer aller Schattierungen zu verwenden. Daß wir die Wie-
dereinführung der Folter anstreben, brauchen wir weiter nicht zu betonen.

Bayern wird wieder autokrate Monarchie, päpstliches Lehen, Ersatz-Kirchenstaat. Wenn sich der Heilige Vater in Rom nicht mehr sicher fühlt, ist er herzlich zu uns eingeladen. Der kommende Papst ist ein Sohn Bayerns, Sproß eines der erlauchten Adelsgeschlechter, an denen wir so reich sind. Wir richten uns streng nach dem Kirchenjahr ein und aus. Wir sehen in der Wiedereinfüh-
rung von Rekordprozessionen und einer allgemeinen Inquisition den Beginn einer schöneren Zu-
kunft, die auf dem Weihwasser liegt. Daß Dr. Dr. Hundhammer päpstlicher Geheimkämmerer wird, liegt auf der Hand. Ob wir einen Wittelsbacher oder einen Habsburger auf den Thron heben, muß durch unfreie und geheime Abstimmung entschieden werden.

Hoch die Zwickelbadehose! Es lebe der Storch und das Märchen vom bösen roten Wolf, der die schneeweißen Lämmchen frißt!

Bayern den Bayern!

Josef Menter


Die Nation. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur, München, 9 vom Dezember 1947, 22.

Überraschung

Jahr: 1947
Bereich: Lebensart