Materialien 1973
Vom GONG zu Georg Kronawitter
oder: Denunzianten1 gegen Demokraten
Das Programm war bereits ausgedruckt: Oberösterreich von Franz Xaver Kroetz im ZDF mit anschließender Diskussion. Dann kam der erste Denunziant. Marquardt schrie laut: da sind Kommunisten dabei. Die Sendung wurde abgesetzt, bei der späteren Ausstrahlung gab es keine Diskussion mehr.
Dann kam die CSU. Der stadtbekannte Kommunistenjäger Gauweiler. Hans Georg Frieser ist Kommunist, der darf nicht eingestellt werden als Sozialarbeiter, auch wenn er noch so beliebt ist und noch so hervorragende Eigenschaften hat und auch dann nicht, wenn Sozialarbeiter ge-
braucht werden und viele offene Stellen da sind.
Später schrieb die Münchner GEW an den Oberbürgermeister der Stadt München, Georg Kro-
nawitter, SPD. Kronawitter, schwach vor dem Kapital und kraftmeierisch gegen Linke, verletzte den Beschluß seiner eigenen Partei, wonach „Angehörige nicht verbotener Parteien“ eingestellt werden müssen, falls die üblichen Voraussetzungen einer Einstellung erfüllt sind. Die Stadt München ging auf CSU-Linie. Frieser wurde nicht eingestellt.
Kronawitter antwortete der GEW. Der Brief wurde in allen bürgerlichen Zeitungen veröffent-
licht. Die Briefe der GEW nur in Zitaten. Der offene Brief von Franz Xaver Kroetz wurde, obwohl er in jeder Redaktion liegt, nirgendwo veröffentlicht.
In seinem Brief an die GEW bringt der Münchner Oberbürgermeister den Begründer der UdSSR, Wladimir Iliitsch Lenin, in einen kriminellen Zusammenhang. Das war am 10.12.1973. Am 1.2.1973 hatte Georg Kronawitter bei der Gründungsversammlung der „Gesellschaft zur Förde-
rung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion in Bay-
ern“ Lenin über den Schellenkönig gelobt. Wörtlich sagte er: „Lenin und die Krupskaja fühlten sich hier wohl in der Münchner Atmosphäre.“
Ja, das waren noch Zeiten, 1901. 1973 spricht Herr Kronawitter vor hohen Gästen aus München und Moskau, auch in Anwesenheit von Botschafter Falin, hohe lobende Worte für Lenin, und schon ein Jahr später redet er bestes CSU-Deutsch.
Wir fragen uns nur, wem sagte Kronawitter die Wahrheit über Lenin: den Sowjetrussen und dem Botschafter der UdSSR oder der Bevölkerung von München? Oder ist das die Doppelstrategie des Georg Kronawitter?
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An den
Oberbürgermeister der Stadt München,
den Fraktionsvorsitzenden der SPD-Fraktion,
die Damen und Herren der SPD-Fraktion
28.11.73
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!
Sehr geehrte Damen und Herrn,
mit Befremden mußten wir einer Meldung der SZ vom 28.11.73 entnehmen, daß Sie einem nicht namentlich genannten Sozialarbeiter wegen seiner Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Partei die feste Anstellung verweigert haben. Trotz des allgemein zu beobachtenden Trends, rechtsstaatli-
che Grundsätze außer acht zu lassen, hätte erwartet werden können, daß wenigstens die SPD-Frak-
tion einer Großstadt sich auf die Werte unserer demokratischen Grundordnung besinnen und mit-
helfen würde, den Anfängen der Unterhöhlung der Werte zu wehren, derentwegen uns ein Leben in einem Rechtsstaat lebenswert erscheint.
Daß wir als Gewerkschaft einer solchen Entscheidung verständnislos gegenüberstehen, wissen Sie aus unserem bisherigen Kampf gegen die verfassungswidrigen Berufsverbote.
Wir bitten Sie nachdrücklich, auf eine Überprüfung und Revision dieser Entscheidung hinzuwir-
ken. Bei dem bedenkenlosen Vorgehen des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus gegen sogenannte „Radikale“ ohne rechtsstaatlich anerkannte Grundlage hätte man von der SPD-Fraktion den Standpunkt erwarten können, wie ihn der Oberbürgermeister auf eine Anfrage eines CSU-Stadtrats vom 2. Mai 1973 vertreten hat. Wir fragen Sie, ob Sie sich inhaltlich zu dieser Stellungnahme des OB bekennen?
Stehen Sie zum Beschluß Ihrer eigenen Partei: „Die Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Partei steht daher einer Mitarbeit im öffentlichen Dienst nicht entgegen.“ (SPD-Parteitag Hannover, April 1973)?
Im übrigen werden die dauernden Beteuerungen der Stadt, sie hätte zu wenig Sozialarbeiter, un-
glaubwürdig, wenn nicht einmal die verfügbaren Kräfte eingestellt werden.
Im Auftrag des Kreisvorstands der GEW München
Hochachtungsvoll
gez. Hans Fertl, Pressereferent
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An den Kreisverband
der GEW München
14.12.73
Den Kernsatz Ihres Offenen Briefes vom 28.11.1973 darf ich noch einmal zitieren. Sie schreiben in Sachen Hans Georg Frieser:
„Trotz des allgemein zu beobachtenden Trends, rechtsstaatliche Grundsätze außer acht zu lassen, hätte erwartet werden können, daß wenigstens die SPD-Fraktion einer Großstadt sich auf die Werte unserer demokratischen Grundordnung besinnen und mithelfen würde, den Anfängen der Unterhöhlung der Werte zu wehren, derentwegen uns ein Leben in einem Rechtsstaat lebenswert erscheint.“ Diesen Satz kann ich voll und ganz unterstützen.
Auch ich muß feststellen, daß sich in unserer Gesellschaft der Trend verstärkt, rechtsstaatliche Grundsätze außer acht zu lassen. Dies trifft z.B. zu, wenn Professoren bedroht und mit physischer Gewalt in ihre Zimmer gesperrt werden oder wenn – wie in Bonn – Rathäuser gestürmt und Ein-
richtungen demoliert werden. Dies trifft aber auch zu, wenn z.B. die Forderung lauthals erhoben wird, sich über die bürgerlichen Gesetze hinwegzusetzen, um eigene Interessen durchsetzen zu können, wie dies erst kürzlich GEW-Vertreter in Hamburg getan haben.
Auch ich hoffe, „daß die SPD-Fraktion einer Großstadt sich auf die Werte unserer demokratischen Grundordnung besinnt“; denn diese Werte müssen es uns wert sein, verteidigt zu werden.
Ich jedenfalls messe die DKP nicht nur an ihren Worten, nicht an Lippenbekenntnissen also, son-
dern an der Handlungsweise, die sie dort zeigt, wo sie ihre Lehre seit Jahrzehnten praktizieren kann.
Und da stelle ich fest: die Meinungsfreiheit steht nicht einmal auf dem Papier, von Pressefreiheit kann keine Rede sein, freie Gewerkschaften gibt es nicht, Streikende werden eingesperrt, freie Wahlen gibt es ebensowenig wie die Möglichkeit, neben der Einheitspartei andere Parteien zu bilden.
Mit einem Wort: die so hoch geschätzten Werte unserer demokratischen Grundordnung fehlen in weiten Bereichen. Eine solche Gesellschaftsordnung möchte ich jedenfalls nicht eintauschen.
Deshalb erwarte ich, „daß die SPD-Fraktion einer Großstadt mithilft, den Anfängen der Unterhöh-
lung der Werte zu wehren, derentwegen uns ein Leben in einem Rechtsstaat lebenswert erscheint“.
Bedauerlicherweise erscheint mir nur, daß Sie unter diesem Setz etwas ganz anderes verstehen als ich. Meine Haltung und Stadtpolitik darf ich deshalb präzisieren.
Nach der bitteren Erfahrung von Weimar dürfen wir unsere freiheitlich demokratische Grundord-
nung nicht ein zweites Mal durch Verfassungsfeinde aushöhlen und dann aus den Angeln heben lassen.
Für mich gibt es keinen Grund, Schlüsselpositionen unserer Gesellschaft, wie z.B. im Erziehungs-
wesen, aber auch in der Sozialarbeit, Kräften zu überlassen, für die Demokraten die „Steigbügel-
halter der Diktatur des Kapitals“ sind und die immer noch die „Revolution des Proletariats“ auf ihre Fahnen geschrieben haben.
Ich gehöre nicht zu jenen Biedermännern, die aus bequemem Opportunismus Brandstifter ins eigene Haus lassen und „Revolutionären“ auch noch Pensionsansprüche verschaffen.
Für mich verpflichtet unser freiheitlich demokratisches System nicht zur Naivität und auch nicht zur Zipfelmützendemokratie. Ich verstehe unsere Demokratie als streitbare und kämpferische Demokratie, die die Grundwerte der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit verteidigt und sich ihrer Feinde erwehren kann.
Ich nehme Anweisungen, die Feinde des demokratischen Systems, wie z.B. Horst Mahler, ihren Freunden geben, ernst. In einem Brief an seine Gesinnungsgenossen zitierte er Lenin: „Man muß … zu allen möglichen Kniffen, Listen, illegalen Methoden, zu Verschweigung, Verheimlichung der Wahrheit bereit sein, um nur in die Gewerkschaften (und in die Sozialdemokratische Partei) hin-
einzukommen, in ihnen zu bleiben und in ihnen kommunistische Arbeit zu leisten.“
Was hier für Gewerkschaften und SPD gesagt wird, gilt auch für die Stadtverwaltung. Aus meiner eineinhalbjährigen Erfahrung als Münchner Oberbürgermeister weiß ich: Wenn in die Stadtver-
waltung staatszerstörende Konfliktstrategen Einzug halten könnten, würde jede konstruktive Arbeit gelähmt und Konkurs anmelden. Systemsprenger und Konfliktstrategen haben in der Münchner Stadtverwaltung keine Chance! Dies muß sich herumsprechen.
Mit freundlichen Grüßen
Georg Kronawitter
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An den
Herrn Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München
An die Damen und Herren der Presse
18.12.73
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!
Wir danken Ihnen für Ihre ausführliche Antwort und freuen uns, daß Sie mit unseren grundsätzli-
chen Überlegungen hinsichtlich der zu schützenden Werte eines demokratischen Rechtsstaats übereinstimmen. Wir bestätigen Ihre Vermutung, daß wir unter diesem Satz etwas anderes ver-
stehen als Sie: wir verstehen darunter, daß das Grundgesetz oberste Richtschnur sei, und daß ihm zufolge nur das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit einer Partei befinden dürfe, keinesfalls aber ein exekutives Organ, eine Behörde, ein Oberbürgermeister, eine Stadtrats-
fraktion oder auch nur ein ganzer Stadtrat. Wir nehmen das rechtsstaatliche Prinzip der Gewal-
tenteilung ernst, ebenso die einschlägigen Artikel des Grundgesetzes zur Meinungs-, Koalitions- und Berufsfreiheit.
Ihr Hinweis auf die Weimarer Republik setzt uns in Erstaunen. Sogar konservative Historiker sind zu der Überzeugung gelangt, daß die Totengräber der Weimarer Republik von rechts kamen. Oder, präziser formuliert: Ihre Totengräber kamen von der Seite, die die demokratische Verfassung nicht ernst nahmen und sie liquidierten.
Als ob nicht jedermann wüßte, daß die Kommunisten die ersten Opfer des faschistischen Regimes waren, vor den Gewerkschaften und den Sozialdemokraten. Auch hier sind die Verfassungsfeinde von rechts gekommen, auch hier lautete ihr Argument: Man müßte wesentliche Substanzen rechts-
staatlicher Ordnung außer Kraft setzen, um die rechtsstaatliche Ordnung zu schützen. Aufgehoben wurden und werden demokratische Verfassungen immer angeblich zu ihrem Schutz: In Weimar, in Griechenland, in Chile.
Welche Funktion Ihr Hinweis auf die Baader-Meinhof-Gruppe hat, kann nur vermutet werden: In die Nähe einer anarchistisch-kriminellen Vereinigung werden nicht verbotene Parteien und deren Mitglieder gerückt. „Systemsprenger“ und „Konfliktstrategen“ nennen Sie Mitglieder einer nicht verbotenen Partei. Wir wollen hier nicht darauf eingehen, ob diese Bezeichnungen, auch wenn sie zuträfen, für ein Berufsverbot ausreichten. Wir wollen hier nur fragen: „Woher wissen Sie denn, daß die beiden Bewerber, Hans Georg Frieser und neuerdings Ingelore Priesing „Systemsprenger“ und „Konfliktstrategen“ sind? Die Frage ist wohl angebracht, ob wir schon in einem Staat leben, in welchem die Exekutive zugleich Ankläger, Richter und Henker spielt.
Sie messen, wie Sie schreiben, „die DKP nicht nur an Ihren Worten, nicht an Lippenbekenntnissen also, sondern an der Handlungsweise, die sie dort zeigt, wo sie ihre Lehre seit Jahrzehnten prakti-
zieren kann“. Und Sie stellen dann fest, dort stehe die Meinungsfreiheit nicht einmal auf dem Pa-
pier, von Pressefreiheit könne keine Rede sein, freie Gewerkschaften gebe es nicht, Streikende würden eingesperrt, und freie Wahlen gebe es ebensowenig wie die Möglichkeit, neben der Ein-
heitspartei andere Parteien zu bilden. Und Sie schließen: „Die so hoch geschätzten Werte unserer demokratischen Grundordnung fehlen in weiten Bereichen. Eine solche Gesellschaftsordnung möchte ich jedenfalls nicht eintauschen.“
Dazu möchten wir zu bedenken geben: Wenn bei uns Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, Pressefreiheit ohnehin die Freiheit einer Handvoll Reicher ist, ihre Meinung zu sagen, wenn bei uns Angehörige einer nicht verbotenen Partei von der freien Berufswahl ausgeschlossen und kriminalisiert werden, und das durch der Verfassung nach nicht zuständige exekutive Organe – dann sind es eben dieselben Werte unserer demokratischen Grundordnung, die hier Schritt für Schritt beseitigt werden. Und wenn das so weitergeht, dann wird es bald nichts mehr einzutau-
schen geben.
Doch damit dies nicht noch einmal geschehe, müssen wir als Gewerkschaft zusammen mit anderen Gewerkschaften den Angriffen auf die Rechtsstaatlichkeit den entschiedenen Kampf ansagen.
Wir möchten unserer Freude darüber Ausdruck geben, daß Sie sich selbst nicht zu „jenen Bieder-
männern“ rechnen, „die aus bequemem Opportunismus Brandstifter ins Haus lassen“. Zu fragen wäre hier nur, was als bequem und opportunistisch anzusehen ist in einer Zeit, in der sich die öf-
fentliche Meinung, von entsprechenden Interessen gesteuert, darauf einpendelt, die schrittweise Aushöhlung rechtsstaatlicher Grundsätze bestenfalls mit einem Achselzucken zur Kenntnis zu nehmen. Die GEW hat ein vitales Interesse daran, daß die Spielregeln der Rechtsstaatlichkeit ge-
wahrt bleiben und daß nicht-verbotene Parteien und deren Mitglieder nicht um den Genuß ihrer bürgerlichen Rechte gebracht werden. Dies fängt damit an, daß Kommunisten von den Behörden gerichtet werden, bevor das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gefällt hat, und es endet bei einem Verbot von Gewerkschaften, und schließlich auch der SPD.
Sich diesem Trend entgegenzustemmen, das ist in unseren Augen heute unbequem und wäre ein Ausweis dafür, sich nicht zu den „Biedermännern“ und „Zipfelmützendemokraten“ zu rechnen.
Abschließend möchten wir Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie auf zwei Punkte unseres Of-
fenen Briefes nicht eingegangen sind:
1. auf unseren Hinweis auf Ihre Antwort auf eine Anfrage eines CSU-Stadtrates vom 2.5.73, in der Sie einen ganz anderen, unserer Meinung nach allein möglichen rechtsstaatlichen Weg einzuschla-
gen versprachen;
2. auf den Beschluß Ihrer eigenen Partei auf dem Parteitag in Hannover im April 1973: „Die Mit-
gliedschaft in einer nicht verbotenen Partei steht daher einer Mitarbeit im öffentlichen Dienst nicht entgegen.“
Mit vorzüglicher Hochachtung
für den Kreisvorstand der GEW München gez. Jaroslaw Strutynski, 1. Vorsitzender
F.d.R.: Hans Fertl, Pressereferent
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Herrn
Oberbürgermeister
Georg Kronawitter
27.12.73
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!
Aus beruflichen Gründen mußte ich längere Zeit von München abwesend sein, deshalb kam ich auch erst jetzt über die Feiertage dazu, Post und Presse aufzuarbeiten.
So stieß ich auf den Münchner Stadtanzeiger mit Ihrem Offenen Brief, in dem Sie der GEW ant-
worten. Den GEW-Brief kenne ich nicht. Wohl aber kenne ich Hans Georg Frieser von unserer gemeinsamen und verbotenen Fernsehdiskussion her und nun auch Ihren 8rief. Erlauben Sie, daß auch ich Ihnen antworte und zwar persönlich, als bayrischer Stückeschreiber, der diese Sache we-
der auf sich noch auf München sitzen lassen möchte, denn zumindest in einem, in seiner Globali-
tät, ist Ihr Brief erschreckend.
Es geht um Hans Georg Frieser, der Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei ist – aber wie beginnen Sie Ihren Brief? Damit, daß Sie Bedrohungen, Gewalthandlungen, Hausbesetzungen etc. zitieren. Meines Wissens nach gibt es kein Mitglied der DKP, das sich solche Taten zuschulden hat kommen lassen. Wissen Sie einen Namen?
Wenn ja, nennen Sie ihn!
Sodann ziehen Sie in Ihrem Brief über die sozialistischen Staaten her. Ich kenne nur die DDR ein bißchen besser und frage Sie: Teilen Sie mir bitte mit, welche Meinung nicht hat vertreten werden dürfen und wenn Sie detailliert antworten, kann ich Ihnen vielleicht zu mehr Verständnis verhel-
fen, denn in der Tat stehen auch wir auf dem Standpunkt, daß Freiheit, auch die der Meinung, nicht als Abstraktum bestehen darf, sondern in einem positiven Bezug zum Fortschritt der Menschheit sein muß, vor allem, wenn diese Meinung öffentlich wird.
Sie sprechen von der Pressefreiheit. Die Presse wird von Menschen für Menschen gemacht auf der ganzen Welt. Aber: mehr Menschen, als das gute Dutzend, das bei uns in der BRD faktisch die Pressefreiheit hat – sehen Sie sich doch bloß ein wenig in München um, Herr Oberbürgermeister – machen auf alle Fälle die Presse für die Bürger der DDR.
Nun zu den Gewerkschaften, die Ihnen in der DDR nicht frei genug sind. Der FDGB hat für die Werktätigen der DDR schon vor Jahren Dinge erreicht, die unsern Unternehmern abzutrotzen sich unsere sog. freieren Gewerkschaften noch heute vergeblich bemühen (Jugend-, Unfall-, Kündi-
gungsschutz etc., bitte informieren Sie sich!). In welchem Bezug müssen Gewerkschaften denn frei sein? Doch wohl in dem, etwas für ihre Mitglieder zu erreichen.
Dann berühren Sie einen Punkt, der wirklich mit Wahrheit zu tun hat: Streikrecht im Sozialismus. Ich darf Ihnen sagen, daß gerade wir uns darüber des öfteren die Köpfe zerbrechen. Ich lade Sie ein, einmal mitzudiskutieren!
Weiter: freie Wahlen … Ich frage Sie: Wie viele Parteien braucht der Bürger Ihrer Meinung nach, um frei wählen zu können? Zwei, drei, vier oder besser hundert? Ich glaube, es kommt nicht darauf an, zwischen möglichst vielen wählen zu können, sondern es kommt auf das an, was dabei zur Wahl steht! Und tatsächlich stehen in der Deutschen Demokratischen Republik weder die Reak-
tion noch der Revanchismus, geschweige der Faschismus zur Wahl! Mir scheint das gut so, und Ihnen?
Im weiteren Verlauf Ihres Briefes kommen Sie, wie einige in der BRD, mit denen ich Sie bis heute nicht auf eine Stufe gestellt hätte, zu der Geschichtsfälschung Sozialismus-Faschismus. Herr Oberbürgermeister, die Bedrohung und die Vernichtung der Weimarer Republik kam von rechts und gerade die KPD hat sich unablässig und sehr nachweisbar darum bemüht, die Hitlerdiktatur zu verhindern bzw. dann mit allen Mitteln zu bekämpfen – wer saß denn in den KZ neben den jüdischen Bürgern und wurde gefoltert und ermordet? Kommunisten, linke Sozialdemokraten; progressive Geistliche!
Wie also, Herr Oberbürgermeister, können Sie von Weimar und Nazis auf Bundesrepublik und DKP kommen? Doch nur, wenn Sie von etwas schreiben, über das Sie nicht genug wissen, oder aber lügen.
Im nächsten irren Sie schlichtweg: Gerade die DKP weiß recht gut zu unterscheiden zwischen wirklichen Demokraten und „Steigbügelhaltern“ und sie tut das auch tagtäglich, etwa in der UZ! Lesen Sie nach!
Zu Ende geht Ihr Brief damit, daß Sie Hans Georg Frieser praktisch in eine Reihe mit Horst Mahler stellen. Herr Oberbürgermeister, schämen Sie sich! Sie denunzieren einen Mann, dem Sie anders nicht ans Leder können und Sie denunzieren eine Partei, von der Sie – wenn man das für Sie Posi-
tivste unterstellt – nichts, aber auch gar nichts wissen, von der aber ich Ihnen sagen kann, daß ich in ihr bessere und aufrechtere Demokraten gefunden habe als überall sonst in der Bundesrepu-
blik! Hans Georg Frieser gehört zu ihnen!
Stellen Sie ihn ein, Herr Oberbürgermeister, auf daß wenigstens in diesem Fall aufhören mag, daß Tiefschläge, Denunziationen und Lügen die Wahrheit und ihre guten Argumente ruinieren. In die-
sem Sinne wünsche ich Ihnen und München ein gutes und glücklicheres 1974!
Franz Xaver Kroetz
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Herrn
Oberbürgermeister
Georg Kronawitter
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
meinen Mitbürgern, die grundlose Beleidigungen als Mittel der politischen Auseinandersetzung ebensowenig schätzen wie die berufliche Existenzvernichtung, schulde ich eine Erwiderung Ihres Offenen Briefes.
Zunächst: ich bin kein „Brandstifter“, sondern Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Ried/Bad Tölz. Auf die Reichstagsbrandlüge sollten Sie nicht zurückgreifen.
Ich habe die von Ihnen genannten Gesetzesverstöße nie begangen und weise eine derart unbillige Aufputschung von Haßinstinkten gegen mich und meine Partei zurück.
Meine Professoren habe ich nie mißhandelt; diese haben ebenso wie meine bisherigen Kollegen und Vorgesetzten und die von mir betreuten Obdachlosen meiner Integrität und Qualifikation das beste Zeugnis ausgestellt. Sozialarbeiter wird man nicht wegen „Pensionsansprüchen“.
Ich bin nicht „lauthals“ und „im Eigeninteresse“ für Verfassungsbruch eingetreten, sondern gegen den Abbau der demokratischen Verfassung, gegen die Unterstützung des Völkermordes in Viet-
nam, gegen Bodenspekulation und Mietwucher.
Der durchaus antisozialistische Spiegel hat seinem Sozialreport über die 1,2 Millionen Obdachlo-
sen in der BRD (Nr. 40/1970) die Überschrift gegeben: „Hier wurde die Marktwirtschaft zum Fluch.“ Dieser Erkenntnis soll sich ausgerechnet ein praktischer Sozialarbeiter verschließen müssen? Auch Sie können nicht leugnen, daß die Lösung dringendster Kommunalprobleme am monopolistischen Bodeneigentum und Profitinteresse scheitert.
Realistische Alternativen kommen deshalb ohne sozialistische Gedankengänge nicht aus. Humane und demokratische Fortschritte in der Welt und die Niederlage Hitlers wurden maßgeblich von der marxistischen Arbeiterbewegung bewirkt. Deshalb habe ich mich nicht „mit allen Kniffen und Lis-
ten in die SPD eingeschlichen“, sondern der DKP angeschlossen.
Die Zerrbilder der Entspannungsfeinde lasse ich mir nicht unterschieben und hoffe umgekehrt, daß Sie sich nicht mit den weltweiten Verbrechen jener identifizieren, deren Parolen Sie über-
nehmen. Im übrigen bekämpfen unsere gemeinsamen Gegner die „Sozialisierung“ gerade wegen des Machtzuwachses (nicht der Abschaffung) der Gewerkschaften und einer arbeiterfreundlichen, freien Presse. Wer alle Parteien bei Strafe des Berufsverbots auf einen militanten Antisozialismus verpflichten will, wird sich damit abfinden müssen, daß ein Mehrparteiensystem auch auf der Basis des Antifaschismus und Sozialismus möglich ist. Wer die Bedürftigsten eines Sozialarbeiters be-
raubt, weil dieser sich zu den Gedanken Bebels und der Mehrheit der Hitler-Gegner bekennt, soll-
te nicht von „Meinungsfreiheit“, und wer dabei die eindeutigen Beschlüsse seiner Partei mißach-
tet, nicht von „Demokratie“ reden.
Mit deutlicher Stoßrichtung gegen erhebliche Teile Ihrer Partei erklären Sie den Sozialismus zum Staatsfeind Nr. 1; das tun sonst nur faschistische Regimes. Im Gedenken an die Nazi-Opfer meiner und Ihrer Partei halte ich Ihnen entgegen, daß nicht diese, sondern die Rechtskräfte die Weimarer Republik zerstörten und mit der schrittweisen Ausschaltung der Marxisten und anderen Demokra-
ten begannen. Ich fordere Sie auf, dieser Praxis nicht weiter nachzueifern.2
Hans Georg Frieser
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1 Wir verstehen hier das Wort denunzieren als „in-antikommunistischer-Absicht-bekanntmachen“.
2 Die Sachbearbeiter der bayrischen Berufsverbotspraxis heißen: Min.-Dir. KITZINGER, Min.-Dir. RÜDIGER, Min.-Dir. BARL, Min.-Rat SPÄTHLING, ORR HEGER, Min.-Dir. FREIHERR VON STRAHLENHEIM, alle im Kulturministerium Bayern; in der Regierung von Niederbayern ist es: Reg.-Dir. LEDERER, Regierung von Mittelfranken: Reg.-Dir. STENDER, Regierung von Oberbayern: ORR HILG, Landeshauptstadt München: Personalreferent LAYRITZ und OVR ZIEGLER. Unter den Berufsverbots-Richtern sind u.a. zu nennen: Präsident Dr. PREISENHAMMER, der in einem Berufsverbotsverfahren den Chile-Putsch als „Notwehr gegen Verfassungsbrecher Allende“ gerechtfertigt hat, die Richter Dr. RZIHA, WELLNER und Dr. WITTMANN, sämtliche München, Dr. ENGEL, Ansbach.
Kürbiskern. Literatur, Kritik, Klassenkampf 2/74, München, 164 ff.