Flusslandschaft 1973

Kapitalismus

„… Ich, Baron von Finck,
geboren 1898,
nenne viel mein eigen
und bin in großer Sorge.
Um Bayerns Landeshauptstadt München,
die groß und stolz die Isar teilt,
nenn ich mein eigen etwa
20 Millionen Quadratmeter Land,
bebaubar und sehr wohnlich dann.
Man sagt
2 Milliarden Mark sei’s wert.
Und spricht so über mich:
Herr von Finck,
wenn er am Morgen wach wird,
ist reicher dann um 1 Million,
als er am Abend vorher war.
Denn was um Bayerns Herz
ich kann mein eigen nennen,
nimmt zu im Jahr an Wert
um rund 400 Millionen.
Im Lande selbst besitz
ich Güter,
die da heißen:
Unterbiberg,
Möschenfeld,
Neubiberg,
Ödenstockach,
Solalinden,
Keferlohe,
Wolfersberg,
Epolding.
Dazu nenn ich mein eigen,
flächige Jagdgebiete in den Bergen
und die Vereinsalpe zu Mittenwald.
Auch von dem Uferland,
das Barmsee,
Kochelsee
und Osterseen begrenzt,
nenne das meiste ich mein eigen.
In München selbst,
so in der Innenstadt,
hab eine Vielzahl Häuser ich
und bin
Alleinbesitzer von Bankhaus Merck, Finck und Co.
und bin mit meinen beiden Söhnen
Inhaber vom Bankhaus Waldhausen und Co. zu Düsseldorf
sowie der Deutschen Spar- und Kreditbank AG zu München.
Beteiligt bin ich an
den Deutschen Lloyd Versicherungen,
der Löwenbräu AG,
der Würzburger Hofbräu AG,
der Brauerei Schremps AG in Karlsruhe,
der Gesellschaft für Markt- und Kühlhallen in Hamburg,
der Isarwerke GmbH,
der Isar Amperwerke AG,
der Hochtief AG in Essen,
der Edelstahlwerke Witten AG,
der Stahlwerke Südwestfalen AG.
und der Allianz-Versicherung AG.
Was ich an Grund eigen nenn,
sagt man, sei drei Milliarden Demark wert,
die Aktien hätten Kurswert
eine gute Milliarde.
Häuser und Kleineres käme noch dazu.
Da eine Milliarde 1.000 Millionen sind,
und ich sie mehrfach habe,
nennt man mich reich.

Ich heiße Ludwig Wagner,
geboren 1939,
hab eine Frau und einen Sohn
und bin in großer Sorge.
Mein eigen ist:
Ein Ford Taunus 12 m, Baujahr 1968,
ein Saba-Fernsehapparat, schwarz-weiß,
eine Waschmaschine, vollautomatisch von der AEG,
ein Elektroherd von Siemens,
und Siemens Kühlschrank,
ein Fotoapparat und ein Radio.
Alles sehr gut erhalten, weil gepflegt …“1


1 Auszug aus Franz Xaver Kroetz, Münchner Kindl. Eine Ballade aus Bayern. Geschrieben für: Bodentribunal der Deutschen Kommunistischen Partei in München am 21. Juli 1973, gewidmet Christl und Rolf Primer. In: kürbiskern. Literatur, Kritik, Klassenkampf 4/73, München, 803 f.

Überraschung

Jahr: 1973
Bereich: Kapitalismus