Materialien 1971
Hans Werner Henze – Gespräch mit der Münchner Songgruppe
… Brannasky: Im Grunde kann jede kulturelle Äußerung mißbraucht, das heißt von der herrschen-
den Klasse eingesetzt werden. Es geht also nicht nur um Beat. Die machen Geschäfte und ihren Profit, wo sie nur können. Man sollte also keineswegs von den formalen Argumenten ausgehen: dies oder das ist ein Instrument des Imperialismus. Wichtig ist: Welche Möglichkeiten gibt es, um dies oder das in unserem Sinn zu gebrauchen?
Henze: Du mußt doch dem Feind die Waffen wegnehmen, so ist es doch. Da braucht man sich nicht zimperlich anzustellen in dieser Phase des Kampfes. Vermeiden die Genossen der Befreiungsfront den Gebrauch von Maschinengewehren, weil diese zufällig ein amerikanisches Fabrikat sind?
Ich bin für das Umfunktionieren. Kann mir vorstellen, daß Beat-Musik und mit ihr alles, was die Bewußtseinsindustrie auf den Markt wirft, zu solcher Veränderung taugt und daß man ihren ur-
sprünglichen „Sinn“ oder Zweck wie Waffen gegen sie selber richtet. Schaut euch an, was die Cuba-
ner machen, mit Elektronik auf Massen-Meetings, mit ihrer avantgardistischen Graphik. Selbst die ehemalige Rundfunk-Reklame ist geblieben: in der Taktik, mit der früher Warenanpreisungen über den Äther gingen, werden heute Slogans der Revolution ausgestrahlt. Dies nur als Beispiel. Mich haben die Cubaner da sehr ermutigt. Habe gerade ein Stück gemacht – „der langwierige Weg in die Wohnung der Natascha Ungeheuer“ –, auf einen Text von Gaston Salvatore, bei dem ich zahlreiche „Manieren“ der systemimmanenten Avantgarde-Musik gebrauche, um das Selbstpor-
trait eines Linksbourgeois mit seinen Utopien und Verzweiflungen zustande zu bringen.
Das schwer zu überwindende Element eines bürgerlichen Schönheitsprinzips, das im Beat genauso steckt, wie in der „ernsten“ Moderne, scheint mir der Beobachtung wert: Schön, das ist die Kunst der Reichen, häßlich, das ist die Kunst der Armen. Die bürgerliche Ideologie, und also mit ihr die ganze Kunstauffassung, versteht unter Schönheit ein Streben nach Perfektion, nach dem Kostspie-
ligen, dem Besonderen, sie beinhaltet die Fabrikation von egozentrischen Träumen und sie braucht egozentrische Träumer. Die elektronischen Wunderwerke des Beat gehören in dieses Konzept ge-
nauso wie die hochpolierten Sinfonieorchester (mit ihrer so bewunderten militärischen Disziplin), die pausenlos immer die gleiche Literatur (die die Bourgeoisie gestohlen hat) reproduzieren oder die elitären pseudobuddhistischen Meditationen. Die Schönheit ist heute: ausgeflippt sein. Die Armut ist heute: wach werden, skeptisch sein, sich nicht einfangen lassen.
Hitzer: Vergessen wir nicht die soziale Zusammensetzung der Beat-Band-Mitglieder. Es sind doch oft gerade Jugendliche aus der Arbeiterschaft, die mit der Technik solcher Bands eine eminent wichtige kulturelle Betätigung finden, ihren Spaß, und in ihrer Freizeit noch etwas Geld zu der mageren Lehrlingsentlohnung dazuverdienen. Mit der Selbstbetätigung setzt doch ein Prozeß ein, der weiterführen kann, als wenn man nur bedient und berieselt wird. Mit der Beherrschung der Technik und des Sounds wird man an Grenzen herangeführt, die auch neue Bedürfnisse wecken, zum Beispiel was Texte betrifft.
Vosz: Es kommt darauf an, daß der Text einfach ist und ihrer Situation entstammt. Die Musik ist ihnen vertraut, sie hören hin. Wenn ein Text dazu kommt, der sie betrifft, der ihre wirkliche Lage schildert, dann mobilisiert das …
Beim Wochenendseminar wurde das Gespräch fortgesetzt. Die Songgruppe probte ihr Programm und diskutierte über neue Wege im Gebrauch ihrer Mittel.
Henze: Die Nummer mit dem Lehrling finde ich fabelhaft. Auch andere Sachen. Etwa das Theodo-
rakis-Lied. Wenn ich sowas machen sollte, müßt ich mir schon Mühe geben. Das Einfache ist am schwersten. Vielleicht kann ich in einer Sache etwas beisteuern; denn ich könnte instrumentale Mischungen mit dem vorhandenen Instrumentarium machen, auf die man nicht so ohne weiteres kommt.
Jedamus: Das wäre sehr wichtig. Eben mit unseren Mitteln.
Henze: Ich werde mir notieren, was Ihr spielen könnt, auch Stimmumfang etc. Vielleicht kommen wir auf mehr klangliche Abwechslung. Und dann muß ich Texte kriegen, das wäre alles – nein, nicht alles: es muß mir dann doch noch was einfallen. Beim Theodorakis ist mir eingefallen, ob man nicht so was versuchen könnte, was man in Vietnam macht, wo kleine Gruppen von einem Dorf zum andern gehen und kleine Stücke spielen. Natürlich ohne Kostüme und den ganzen Quatsch. Aber so, daß es verteilte Rollen gibt. Daß Dialoge entstehen, kleine Szenen, Lehrstücke, auf einfachster Basis.
Jedamus: Wir haben eine Nummer mit einem Sprechtext. Unsere Kapazität ist begrenzt, auch was die Proben betrifft.
Hitzer: Da kommen doch sicher auch Gruppen in anderen Städten in Frage, die sich solche szeni-
schen Stücke mit Songs und Dialogen aneignen könnten.
Henze: Man müßte da offen bleiben. Gut wäre zunächst, wenn wir hier so etwas einmal auspro-
bierten.
Brannasky: Das mit den zwei Stunden pro Woche ist schon richtig. Aber, ob wir ein neues Lied einstudieren oder mal ein szenisches Stück mit Musik, das ändert ja am Arbeitsaufwand nichts. Mir scheint das möglich zu sein.
Henze: Sicherlich braucht man für diesen oder jenen Zweck einen neuen Song. Jedenfalls brauch ich von Euch die Texte. Ihr habt davon erzählt, daß Ihr in Kneipen auftretet. Da könnte man na-
türlich Abwechslung reinbringen in dem Sinn, daß das Auge auch ein bißchen was geboten kriegt. Zum Beispiel bei dem Lehrlingslied könnten durchaus Bewegungen und kurze Dialoge dazwischen kommen: das meine ich mit szenischen Effekten.
Brannasky: Ich würde sogar noch weitergehen. Das Bread and Puppet-Theatre hat ja einiges ent-
wickelt, was wir entsprechend umsetzen können. Die Conrads machen so was schon. Bei einem Weihnachtsstück haben sie das mit Erfolg angewandt. Unsere Bayern-Lieder sind zum Beispiel doch auf Komik angelegt. Da kann man doch was machen.
Henze: Als Mann mit Theatererfahrung kann ich Dir sagen, das ist leicht, da braucht Ihr gar nicht lange dran zu üben. Ich meine, das Vietnam-Lied von Süverkrüp, was Ihr vorher geprobt habt, ist viel schwieriger als drei Minuten Aktions-Musik. Bei einem so einfachen Lied kommen nur fürs Singen, wie Ihr selbst gemerkt habt, Interpretationsprobleme dazu. Das muß ganz genau stimmen, sonst kommt keine Wirkung zustande. Es gibt viele Sachen, mit denen man starke Wirkungen er-
zielen kann, ohne daß man sich halb zu Tode übt vorher.
Brannasky: Ein paar Grundvoraussetzungen sind halt, daß wir über vier bis fünf Instrumente verfügen, die gleichzeitig gespielt werden können.
Henze: Die kann man aber auch vermehren, durch Kombinieren und Hinzulernen neuer, einfacher Instrumente. Dann kann man auch komische und lustige Sachen einsetzen.
Jedamus: Den Großkopf vom Ammersee stell ich mir eigentlich ganz gut vor, wenn wir den durch den Song nicht nur lächerlich machen, sondern auch durch eine kurze Darstellung.
Henze: In Bayern gibt’s sicherlich die Tradition der Bänkelsänger, die mit Bildern auftraten. Vielleicht macht noch der Zingerl mit. Jedenfalls bleiben wir bei Eurer Gruppe. Probieren wir. Das muß nicht schwer sein. Ic} kann Euch auch die wüstesten Harmonien liefern, indem ich diesen Kasten da nehme und das Banjo und dann noch die Mundharmonika in einer anderen Tonart dazu, da kann man tolle Sachen machen. Wenn’s so weit ist, studieren wir das an einem einzigen Wochenende ein. Jeder kann sich ja privat mit seinem Text vorbereiten. Und dann wollen wir sehen.
kürbiskern. Literatur und Kritik 3/71, München, 524 ff.