Materialien 1963

Freiheit heißt auch Freizeit!

Das nationale italienische Ernährungsinstitut hat die Arbeitsbedingungen der Hausfrau untersucht. Ergebnis: eine 45jährige Hausfrau, die eine Familie mit insgesamt 5 Personen in einer Vierzimmerwohnung zu versorgen hat, verbraucht dabei folgende Kalorien und Zeit:

Das sind zusammen 1.685 Kalorien, die in acht Stunden und zehn Minuten verbraucht werden. Das bedeutet, dass Hausfrauen Schwerarbeit leisten müssen. Dabei hat man bei der Berechnung noch angenommen, dass die drei Kinder zwischen neun und achtzehn Jahren alt sind. Kleinkinder bereiten bekanntlich weitaus mehr Arbeit. Die italienischen Ehefrauen haben nach Veröffentlichung dieses Berichtes denn auch sofort protestiert: sie arbeiteten erheblich länger als acht Stunden am Tag, sagen sie …

Welche Möglichkeiten die technische Entwicklung heute schon bieten würde, diese rückständige Plackerei im Haushalt abzuschaffen, dafür liefert der Volkswirtschaftler H. G. Schachtschabel in seinem Buch „Automation in Wirtschaft und Gesellschaft“ Beispiele über Beispiele: „Die ‚Hauswirtschaft per Telefon’ ist speziell für die berufstätige Hausfrau gedacht, die einige Zeit vor Arbeitsschluss ihre eigene Telefonnummer sowie eine bestimmte Kennziffer wählen kann, wodurch daheim der Elektroherd eingeschaltet und das Essen zum Kochen gebracht wird, so dass es fertig ist, wenn sie nach Hause kommt. Ferner können nach dem gleichen Verfahren die Waschmaschine in Gang gesetzt und das Badewasser eingelassen werden. Alle Geräte regulieren sich automatisch, so dass keine Pannen eintreten. Für die Automation des Haushalts ist nach dem Prinzip der Elektronenschildkröte ein Staubsauger (die ,elektrische Putzfrau’) konstruiert worden, der automatisch saugt und bohnert und abschließend in seinen Abstellraum zurückkehrt, um dort den Staubbeutel im Müllschlucker zu entleeren und sich wieder arbeitsbereit zu machen. Neuartige Kochmethoden bringen mit Hilfe von Radar- bzw. Mikrowellen oder Infrarot-Grills das Essen in den gewünschten Zustand. Die automatische Kochmaschine erhält ihre Befehle durch eine von der Hausfrau vorbereitete Lochkarte, mit der auch individuelle Rezepte vorgeschrieben werden können. Weitere Erleichterung gewährt der Servierwagen mit Batterieantrieb, der seinen Weg von der Küche zum Esszimmertisch automatisch findet und nach dem Essen das schmutzige Geschirr wieder in die Küche bringt, um es dort in den Abfalleimer zu werfen. Denn das Geschirrspülen soll überflüssig werden, da ein sogenannter ,Tellerknecht’ dafür sorgt, dass durch einen Knopfdruck neues Geschirr, geformt aus flüssiger Kunststoffmasse, sofort wieder vorhanden ist. Dieser Automat muss einmal im Monat mit neuer Kunststoffmasse gefüllt werden. Für das Porzellangeschirr besteht eine Ultraschallmaschine, die schnell, ordentlich und fast ohne Wasser dieses Geschirr wäscht. In der Küche wird in Zukunft die Automation zweifellos eine entscheidende Rolle spielen, wobei von einem Schaltpult aus die vielzähligen automatisch arbeitenden Haushaltsgeräte gesteuert und kontrolliert werden.“

Alle diese großartigen Erleichterungen in der Hausarbeit wären heute schon möglich. Unsere Hausfrauen aber schuften – von kleinen Verbesserungen abgesehen – größtenteils immer noch wie vor hundert Jahren. Die technischen Erfindungen finden nur Anwendung, wenn es darum geht, Löhne und Gehälter einzusparen. Das hat man bei der Hausfrau nicht nötig. Wäre es nicht an der Zeit, unserer Gesellschaft eine neue Ordnung zu geben, damit alle Menschen in den Genuss des Fortschritts kommen? Freiheit ist auch Freizeit – und Freizeit bedeutet die Möglichkeit zur schöpferischen Betätigung und damit der Selbstverwirklichung des Menschen.

Rolf Gramke


Heute 4/1963, 12.

Überraschung

Jahr: 1963
Bereich: Frauen