Flusslandschaft 1950

Nazis

In der Großküche an der Rosenheimerstraße fordert am 25. März DGB-Landesvorsitzender Max Wönner vor dreitausend Zuhörern die Aufhebung eines Urteils des Münchner Schwurgerichts, das drei Tage zuvor die zwei ehemaligen Gestapo-Leiter Oswald Schäfer und Richard Lebküchner vom Vorwurf der Beihilfe zum Totschlag freigesprochen hat. Wönners Rede wird mehrmals durch Pfeif-
konzerte und Zwischenrufe unterbrochen, weil er sich weigert, eine Resolution zu verabschieden, mit der die Bekanntgabe der Geschworenennamen und eine Bestrafung der Gerichte gefordert wird. Noch während der Protestversammlung wird Polizei in Marsch gesetzt. Nachdem Wönner das Mikrophon abgeschraubt hat, formieren sich mehrere hundert VVN- und FDJ-Mitglieder, die lautstark die Absetzung der Bundesregierung und einen Generalstreik gegen das Gerichtsurteil gefordert haben, zu einem Demonstrationszug durch die Innenstadt. Auf ihren Transparenten sind Losungen zu lesen wie „Zuchthausstrafen für die Gestapohenker“, „Freiheit für Antidemontage-
kämpfer“ und „Wir fordern: Säuberung der bayerischen Justiz vom Faschismus“. Rund fünfzig Schutzleute und eine Reiterstaffel versuchen, den Demonstranten durch einen Kordon den Weg durch die stadteinwärts führende Rosenheimer Straße zu versperren. Nach ergebnislosen Auffor-
derungen über einen Lautsprecherwagen der Polizei, die Versammlung aufzulösen, versucht die Menge, die Kette der Beamten zu durchbrechen. In dem nun folgenden Handgemenge kommt eine mit Karabinern und Stahlhelmen ausgerüstete Sondereinheit der Polizei zum Einsatz. Mehrere Demonstranten werden mit Gewehrkolben brutal niedergeschlagen. Trotz hartnäckigen Wider-
stands werden den FDJ- und VVN-Mitgliedern ihre Fahnen, Wimpel und Transparente aus den Händen gerissen, auf den Boden geworfen und zerfetzt oder beschlagnahmt. Zwei als „Rädelsfüh-
rer“ verdächtigte Demonstranten werden festgenommen und abgeführt. Noch eine Stunde später greift die berittene Polizei immer wieder ein, um neue Versuche, einen Demonstrationszug in Richtung Innenstadt zu formieren, zu verhindern.

Um den Nazidichter Dr. Herbert Böhme entsteht das „Deutsche Kulturwerk Europäischen Gei-
stes“. Mit dabei u.a. Erwin Guido Kolbenheyer und Heinz Schauwecker. Der Münchner Türmer-Verlag, an dem Böhme beteiligt ist, gibt vierteljährlich die Klüter Blätter heraus sowie Bücher, die an vergangene glorreiche Zeiten anknüpfen.1

Orson Welles reist mit einer bunten Truppe über Hamburg, West-Berlin und Frankfurt nach Mün-
chen. In „An Evening with Orson Welles“ treten Faust, Othello und weitere Akteure auf. Leute summen, wenn sie ihn sehen, die Titelmelodie des „III. Mann“, wollen Autogramme. Dann wendet sich das Blatt; Welles veröffentlichte im Pariser France Dimanche seine Eindrücke aus Deutsch-
land und München. Ein Sturm der Entrüstung schlägt ihm entgegen. „Der Aufruhr in den deut-
schen Gazetten hat ein ironisches Dementi zur Folge: »‚Orson Welles haßt Deutschland!‘ Als ich diese Zeilen las, wurde ich mir jenes Entrüstungssturms bewußt, den meine Artikel über Deutsch-
land entfacht haben. Man nennt mich täglich einen ‚Scharlatan’, und einen ‚Lügner’, und man verlangt, ich möge mich im Namen Frankreichs, der Vereinigten Staaten, Hollywoods und der Vereinten Nationen entschuldigen. Eine wichtige Zeitung wie etwa Die Welt betont, daß die Sow-
jets nur sechzig Kilometer von Hamburg entfernt stünden, und nicht viel weiter von Paris, und es wird der Eindruck erweckt, als sei ich der Mitschuldige an einem kommenden Bürgerkrieg. Auf die Gefahr hin, nochmals den Zorn der deutschen Presse zu erregen, sehe ich mich dennoch gezwun-
gen, zu erklären, daß mir dies doch etwas übertrieben erscheint. All diese Gerüchte entspringen nämlich einer Reihe von Mißverständnissen. So gebe ich denn auch zu, daß es durchaus möglich ist, daß ich in der deutschen Bar nicht das Horst-Wessel-Lied gehört habe, sondern ein Lied, das ihm ungemein ähnlich klang. Immerhin behauptet auch der Chef des amerikanischen Informa-
tionsdienstes in Bayern, er habe in einem Nachtlokal das Horst-Wessel-Lied niemals mit Musik-
begleitung singen hören. Dennoch bereitet mir ein solcher Satz Tantalusqualen. Aber sei es, wie es sei: Wenn es nicht das Horst-Wessel-Lied war, das ich hörte, dann war es jedenfalls eine so gute Imitation, daß sich viele Deutsche, ebenso wie ich, haben täuschen lassen. Unter ihnen auch jener Mann, der die Hand zum Hitlergruß erhob.«“2

Siehe auch „Hinter der Kulisse“ von Friedrich M. Reifferscheidt.

(zuletzt geändert am 25.11.2025)


1 Vgl. Manfred Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, Berlin 1961, 386 ff.

2 Süddeutsche Zeitung 70 vom 23./.24. März 1996, 11.