Flusslandschaft 1986

Umwelt

Unmittelbar nach der Katastrophe von Tschernobyl am 26. April erscheint Ulrich Becks „Risikogesellschaft“.1 Beck konstatiert die Abnahme von Wissenschaftsgläubigkeit und ein zunehmend schwindendes Vertrauen in wissenschaftlich begründete Rationalität. Naturbeherrschung durch den Menschen sei eine Illusion, der Mensch selbst nur eine Komponente in einem fragilen Ökosystem, das keine nationalstaatlichen Grenzen kenne. Die globalen Interdependenzen veranlassen Beck, ab 1996 von einer „Weltrisikogesellschaft“ zu sprechen. Vor allem aber weist Beck auf die Folgen einer hochtechnisierten „Risikogesellschaft“ für nationale Politik, industrielle Produktion und Wissenschaft hin. Äußerungen, die hinter der herrschenden Wissenschaftsgläubigkeit irrationale Motive entdecken, werden immer häufiger.2

Ende April, Anfang Mai: Aufgrund der Informationsverweigerung der Behörden nach der Katastrophe von Tschernobyl beginnt der Vorläufer des Umweltinstituts München, das Energie- und Umweltbüro in Garching, umgehend die wichtigsten Lebensmittel auf ihren Radioaktivitätsgehalt hin zu untersuchen. Das Telefon im Büro steht nicht mehr still. Tag und Nacht wird in einem Institut in der Münchner Uni gemessen. Eine große Anzahl Freiwilliger hilft mit, neue Unterstützerinnen und Unterstützer stoßen zum Kreis der Aktiven, so dass am 9. Juli das als gemeinnütziger Verein für Erforschung und Verminderung der Umweltbelastung das Umweltinstitut München e.V. entsteht. Die erste Broschüre des Instituts trägt den Titel „Es liegt was? in der Luft, auf dem Boden, in der Milch, im Obst …“ und erscheint im Mai, nur knapp zwei Wochen nach der Katastrophe. Mit den ersten Spendengeldern schafft das Institut schon bald ein eigenes Gammaspektrometer an.3

Am 15. September findet eine Radl-Demo gegen den Bau der A 99 statt.4

1967 hatte sich die „Schutzgemeinschaft Erding Nord, Freising und Umgebung“ gebildet. 1968 gab es die erste Demonstration im Moos. Anfang der Siebziger Jahre entstanden weitere Bürgerinitiativen. 1979 demonstrierten etwa zehntausend Menschen in München. 249 Erörterungstermine wegen zahlreicher Einwendungen haben schließlich den Bau Großflughafen München II im Erdinger Moos hinausgezögert. Ursprünglich waren vier Rollbahnen geplant, jetzt waren es nur noch drei. Im November 1980 begannen die Bauarbeiten. Aber schon am 16. April 1981 erreichten die Gegner einen Baustopp vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Es kam zu einer Streichung der dritten Rollbahn und einer weiteren erheblichen Flächenreduzierung. Im März 1985 wurde der Baustopp aufgehoben, am 5. Dezember 1986 erklärt das Bundesverwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit des Projekts.5


1 Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main 1986.

2 Vgl. Peter Kafka: „Keine akute Gefahr? Anmerkungen zur Rationalität moderner Technik“ in Süddeutsche Zeitung 117 vom 24./25. Mai 1986, 129.

3 www.umweltinstitut.org bietet seit 1999 aktuelle Informationen und Hintergrundwissen zu Atomenergie, Energieeinsparung, Elektrosmog, Innenraumschadstoffe wie Asbest sowie Gentechnik, ökologischer Landbau und Agrosprit, außerdem verschiedene Online-Protestaktionen und natürlich Aufrufe zu Anti-Atom- und Anti-Gentechnik-Demos.

4 Vgl. Süddeutsche Zeitung 211/1986.

5 Siehe „Einflugschneise“.

Überraschung

Jahr: 1986
Bereich: Umwelt

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