Flusslandschaft 1987

Bäuerinnen und Bauern

„16. Januar: Um auf ihre bedenkliche Wirtschaftslage aufmerksam zu machen, ziehen die Vieh-
züchter vom Land in die Stadt und demonstrieren im Schlachthof für ‚angemessene Preise und faire Wettbewerbsbedingungen’. Die Aktion, die auf 5 bayerische Städte ausgedehnt wurde, war nicht angemeldet und überrascht in München den Schlachthofchef Max Nagler auf dem Weg zu einer Veterinärschulung. Noch gibt er sein Einverständnis zu dem Besuch unter der Maßgabe, dass im Gelände der Verkehr nicht blockiert wird. Polizeibeamte müssen sich deshalb mit der Feststel-
lung von Personalien der Verantwortlichen begnügen. Als solche geben sich Funktionäre des Bayerischen Bauernverbands (BBV) zu erkennen.“1

„21. Januar: Zwischen 11 und 12 Uhr veranstaltet der Bayerische Bauernverband in der Max-Jo-
seph-Straße 9 eine Aktion ‚Schweinefleisch zum Nulltarif – Schweinehalter vor dem Ruin’. Bei der Protestaktion werden 1.300 kg Schweinefleisch kostenlos an Verbraucher abgegeben. Damit soll auf den ‚ruinösen Preiswettbewerb’ aufmerksam gemacht werden, für den der Bayerische Bauern-
verband vor allem die Massenproduktion in holländischen ‚Tierfabriken’ verantwortlich macht. Am Ort der Demonstration stellen sich über 1.000 Leute an, um ein Kilo Fleisch zu ergattern.“2

„6. März: Die Landwirte demonstrieren ihren Unwillen gegen die EG-Agrarpolitik. Sie gießen 250 l Milch vor dem Europäischen Patentamt aus. Allein aus den Butterbeschlüssen ergeben sich Ein-
nahmen von über 200 Millionen Mark jährlich, heißt es in einem Flugblatt. Martin Haushofer, Präsident des Bezirksverbands Oberbayern des Bauernverbands, überreicht in diesem Zusammen-
hang dem EG-Kontaktbüro im Europäischen Patentamt eine Petition mit der Bitte, diese nach Brüssel weiterzuleiten. Das Europäische Patentamt distanziert sich von der Bauerndemonstration. Es sei zuständig für Patente, habe jedoch nichts mit der Europäischen Gemeinschaft zu tun.“3

„8. April: Auf einer Kundgebung in der Olympiahalle forderte der Bayerische Bauernverband (BBV) für das Überleben der Landwirtschaft einen ‚Jahrhundertvertrag’ und protestiert gleichzeitig massiv gegen die Agrarpreisvorschläge der Europäischen Gemeinschaft. Die Kundgebung steht unter dem Motto ‚Wir kämpfen ums Überleben’. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, ziehen die Landwirte mit Hunderten von Transparenten und mit Schildern in die Halle. Minister-
präsident Strauß wird beim Betreten des Rednerpodiums neben Beifall auch mit Pfiffen empfan-
gen. In seiner Rede vertritt Strauß die Ansicht, dass ein ‚Jahrhundertvertrag’ mit einem jährlichen Finanzvolumen von mindestens 6,2 Milliarden Mark gemeinsam durch die EG, Bund und Länder finanziert werden müsse. In einer Entschließung, die die Versammlung verabschiedet, heißt es, von der EG-Mitgliedschaft profitiere vor allem die deutsche Industrie, die Last trage allein die deutsche Landwirtschaft. Die Finanzierung des Jahrhundertvertrags solle durch die Erhöhung der Mehr-
wertsteuer auf Nahrungsmittel um 2 % ermöglicht werden. Protestiert wird auch gegen die Ver-
wässerung des hohen deutschen Lebensmittelstandards durch ‚Europäisches Mittelmaß’, so bei Wurst, Käse und Bier.“4


1 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 13, 1, 2, 5.

2 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 17, 1, 5, 20.

3 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 55, 1, 5, 20, 24.

4 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 83, 1, 5, 20.