Flusslandschaft 1987
Frauen
Gisela Elsner findet sogenannte „Herrenmagazine“ seltsam: »Der Eindruck der öden Gleichförmig-
keit, den der Leser schon innerhalb kürzester Zeit gewinnt, entsteht vor allem durch die darin pub-
lizierten Fotoserien, die allesamt nackte oder nahezu nackte Mädchen zeigen. Manche Mädchen sind nur mit Hüten bekleidet, manche nur mit Strumpfhaltern, Strümpfen und Stöckelschuhen. Manche stellen ihre Reize unter offenen Morgenmänteln, vampirhaften Umhängen oder Blusen zur Schau. Ein Mädchen trägt außer schwarzen Stiefeln lediglich eine farblich passende schwarze Perlenkette. Ein anderes Mädchen im Evakostüm fällt inmitten ihrer Geschlechtsgenossinnen da-
durch aus dem Rahmen, dass es sich eine Taucherbrille mit Schnorchel um den Kopf geschnallt hat. Ein weiteres Mädchen, das in einem offenen weißen Bademantel langgestreckt auf dem Fuß-
boden liegt, behält man im Gedächtnis, weil irgendwer es witzig fand, ihm zur Abkühlung einen laufenden Ventilator zwischen die gespreizten Beine zu stellen.«1
Ingrid Strobl veröffentlicht im Frühjahr einen grundlegenden Text, der in der Szene gelesen und ausgiebig diskutiert wird.2 – Ende 1987 wird Strobl unter dem Verdacht der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ (gemeint sind die „Revolutionären Zellen“) verhaftet. Im De-
zember wird sie von Köln nach München verlegt, wo sie im Frauengefängnis Neudeck in Isolati-
onshaft sitzt. Ganz überraschend versammeln sich einige Frauen in der Nacht vom 29. auf den 30. Dezember vor dem Knast, brennen einige Feuerwehrsraketen ab, einige klettern in den Hof, bauen dort eine Anlage auf und verlesen eine kurze Soli-Rede, bevor die Nacht sie wieder verschluckt. Ingrid Strobl schreibt „via BGH. München, 7.3.88. Liebe Frauen, Eure flammenden Grüße kamen am 29.2. hier an – heißen Dank. Ich habe mich RIESIG gefreut – auch dass Ihr so viel action machtet! Ich habe 2 mal was mitgekriegt: einmal als ich noch unten im Loch war (Krach, Rufe, etwas, das wie Parolen klang), das 2. mal, als ich schon oben war (vor ca. 2 bis 3 Wochen), aber das war leider nur undeutlich, diffuser Lärm. Das Fenster hier geht zum Hof, da kriegst du von der Straße kaum was mit. Aber draußen am Knast steht eine (offenbar schon uralte) Parole: ‚Freiheit für alle’ – da freue ich mich jedes mal, wenn ich ‘s sehe (bei meinen ‚Ausfahrten’ nach Stadelheim i.d. Trennscheibenraum). Allerliebste Grüße von Eurer Ingrid. P.S. Die Hamburgerinnen machen eine Broschüre mit Texten von mir und Ulla.“3
Bei der Studentendemonstration gegen das Bundeshochschulgesetz am 26. Juni finden sich viele Transparente mit feministischen Aufschriften.4
Es ist üblich, daß man sagt: „Man sagt“. Daß die herrschende Sprache die der Männer ist, gibt es daran Zweifel? Schon seit den 60er-Jahren verlangen Feministinnen, Frauen in der Sprache sicht-
bar zu machen. In der linksalternativen Szene wird in den 70er-Jahren das Bemühen um eine ge-
schlechtergerechte Sprache selbstverständlich. Anfang der 80er-Jahre beginnt das Binnen-I die Schrägstrichvariante zu ersetzen: Leser/-innen werden zu LeserInnen. Die UNO veröffentlicht 1987 den „Guide to Non-Sexist Language“. Geschlechtergerechte Sprache wird weltweit zum The-
ma. In München gehen Autorinnen soweit, dass sie das beliebte „man“ mit „frau“ ersetzen oder frohgemut „Göttin sei Dank“ sagen. Dagegen erhebt sich Protest. Und der gibt sich lustig. Denn das, was Frauen wollen, kann MAN ja nicht ernst nehmen: „AUS DER FRAUSARDE – Man(frau) sagt, daß es man(frau)chmal angebracht ist, seinen Man(Frau)tel nach dem Winde zu hängen und die Sprache zu man(frau)ipulieren, um seinen Standpunkt zu frau(man)ifestieren und diese Frau-
(Man)ie auf die Spitze zu treiben, um den Blödsinn von ‚frau sagt‘ in mann(frau)iger Art durch dieses Frauuskript geschrieben in meiner Frausarde bloßzustellen und anzuprangern. Henrik Fi-
scher, Beblostraße 12, 8000 München 80“5
Die Frauengruppe in der Schwabinger Friedensinitiative schaltet eine Anzeige: „Das geplante Bundesberatungsgesetz zum § 218 darf nicht verabschiedet werden! Wir müssen uns wehren!
Ziel dieses Gesetzentwurfes soll sein, den angeblichen Mißbrauch der sozialen Indikation zum Schwangerschaftsabbruch zu verhindern. Die Daumenschraube des geplanten Gesetzes setzt bei den Beratungsstellen an. Ihnen sollen finanzielle Förderung und Anerkennung nur noch dann gewährt werden, wenn sie die ratsuchende schwangere Frau beeinflussen, auch das ungewollte Kind auszutragen. Manipulation und Bevormundung statt eingehender individueller Beratung? Neben weiteren Punkten sieht das geplante Beratungsgesetz die Einbeziehung des Freundes/Ehe-
mannes, der Familie, ja sogar des Arbeitgebers in die Beratungssituation vor. Alle diese Personen sollen auf die Schwangere einwirken, sich für das auch ungewollte Kind zu entscheiden. Wie einer Entmündigten wird der schwangeren Frau jegliches selbstbestimmende und eigenverantwortliche Entscheiden abgesprochen!!! Die Strafandrohung durch den § 218 (bis zu 3 Jahren Gefängnis) hat noch keine Abtreibung verhindert, sondern nur die Frauen in die Illegalität getrieben und so ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt. Wir fordern daher die ersatzlose Streichung des § 218! Die Entscheidung für oder gegen ein Kind fällen die Frauen selbst — ohne die Einmischung von Staat und Kirche!!!“6
An deutschen Universitäten liegt der Frauenanteil an der ProfessorInnenschaft (das „Innen“ wird beinahe zur Ironie) bei ca. 5 Prozent, bei den begehrten C4-Stellen gar nur bei 2,9 Prozent. Im Mit-
telbau beträgt der Frauenanteil immerhin 17,7 Prozent, wobei auch hier ein deutlich geringerer Prozentsatz bei den A 15/16 Stellen (8,1 Prozent) im Vergleich zu den BAT II Zeitstellen (19 Pro-
zent) auffällt. Im Fachbereich Ingenieurswissenschaften liegt der Anteil weiblicher Studierender immer noch bei mageren 10 Prozent,während der Prozentsatz in »typisch weiblichen« Fächern wie Kultur-, Sport- und Kunstwissenschaften bei über 50 Prozent liegt, wobei ¾ dieser Studentinnen das als klassisch weiblich verschrieene Berufsziel der Lehrerin anstreben.7
(zuletzt geändert am 29.3.2023)
1 Gisela Elsner, Oben ohne, unten ohne, in: Elsner, Im literarischen Ghetto. Kritische Schriften 2, Berlin 2011, 261 f.
2 Siehe „Die Angst vor den Frösten der Freiheit“ von Ingrid Strobl.
3 freiraum — Anarchistische Zeitung 21 vom Frühling 1988, 44. Vgl. dazu auch www.ingrid-strobl.de.
4 Fotos: Stadtarchiv Standort ZB-Ereignisfotografie-Politik-Demonstrationen.
5 Süddeutsche Zeitung 191 vom 22./23. August 1987, 127.
6 Süddeutsche Zeitung vom 26. September 1987.
7 Siehe Wilma Mohr, Frauen in der Wissenschaft, Köln 1987.