Flusslandschaft 1987

Medien

Franz Gans musste Taxi fahren. Die U-Bahn war ausgefallen und er hatte einen Termin. Er be-
richtete, dass die Fahrt ihm neue, unerhörte Eindrücke schenkte. Eine geballte Aneinanderreihung von Schlagern einer privat betriebenen Radiostation beanspruchte die Sinnesnerven, in die, jeweils noch nicht einmal zu Ende gespielt, aber hinuntergedimmt, ein Moderator schon das nächste Liedgut ankündigte, so dass nicht der Bruchteil einer Sekunde unbeschallt blieb. Gans vermutet, dass es nur um eines wirklich geht: Leere auszufüllen, um ja nicht Platz zu ermöglichen, in dem ein eigener Gedanke entstehen könnte. Sein Versuch, dem Taxi-Fahrer zu vermitteln, dass er sich mit dieser hohen Dosis Psychopharmaka nicht Gutes tut, scheiterte zwangsläufig. Gans dachte darüber nach, ob dem Straftatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung nicht auch ein Straftatbestand der vorsätzlichen Verletzung des Gemüts und der Seele beigefügt werden kann, ließ das Taxi hal-
ten, bezahlte und ging wie befreit die restlichen drei Kilometer per pedes zum Ziel. Die Begrün-
dung seines Zuspätkommens wurde allseits akzeptiert.1

12. Oktober: Der Tag nach dem Tod von Uwe Barschel. Für Live aus dem Alabama, eine Sendung des Bayrischen Fernsehens, spielen Die Ärzte ein Konzert. Der Sender hat Angst und vereinbart, dass keine indizierten Lieder gespielt werden. Beim Stück „Geschwisterliebe“ bittet ein Bandmit-
glied, dass niemand mitsinge, da dies strafbar sei, und meint: „Denkt an Uwe Barschel, er hat es auch versucht, er ist nicht durchgekommen damit – sie haben ihn erschossen.“ Es fallen weitere Anspielungen. Der Leiter der bayrischen Staatskanzlei Edmund Stoiber rügt den Sender, Modera-
tor Günther Jauch entschuldigt sich in der Anschlussendung und Die Ärzte geraten beim Bayeri-
schen Rundfunk
auf den Index.2 „Der vom BR verhängte ‚Ärzte’-Boykott wurde später wieder aufgehoben. Im Lauf der Jahre wurde die Sendung vorsichtiger und braver. Die Moderatorin Michaela Haas, die 1996 ausschied, beklagte öffentlich, die Redaktion sei zu feige geworden. Man könne ‚doch nicht jedes Mal den Chefredakteur anrufen, wenn jemand in die Sendung eingeladen werden soll, der links von der CDU/CSU ist’.“3


1 Siehe „Akustischer Kolonialismus“ von Carl-Wilhelm Macke.

2 Siehe www.aerztepedia.de/trivia:skandal_im_alabama und www.worldlingo.com/ma/dewiki/de/Live_aus_dem_Alabama.

3 www.fernsehserien.de/index.php?serie=1131.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Medien

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