Materialien 1980

Widerstand und Qualität

Zu einer Podiumsdiskussion im Münchner Kunstverein

Mit den ca. 60 Teilnehmern, die der Einladung des Kunstvereins München zur Podiumsdiskussion über die Ausstellung „Widerstand statt Anpassung“ gefolgt waren, diskutierten am 21. Mai 1980: Lazlo Glozer (Süddeutsche Zeitung), Frau Bruns (Institut für Zeitgeschichte), Herr Bayerthal und Herr Stock (Münchner Kunstverein) und unser Redaktionsmitglied Richard Hiepe.

Ein klares Ergebnis der Diskussion ‒ etwa eine einhellige Meinung zur Ausstellung ‒ ist angesichts deren Ein- und Erstmaligkeit im Münchner Kulturbetrieb nicht zu erwarten gewesen. Man hatte Schwierigkeiten mit dem „Motto“ der Ausstellung einerseits und den gezeigten Kunstwerken ande-
rerseits.

Heißt „Widerstand“ gegen den Faschismus für Künstler, daß sie Form und Farbe zu ästhetisch ge- stalteten Molotowcocktails gegen das System anwenden, wie es nach Meinung eines Diskutanten Heartfield, Grosz, Kralik und andere, vor allem die politisch organisierten Künstler, taten? Oder ist es ebenso „Widerstand“, wenn Nußbaum, Pankok, Levin z.B. ‒ eher auf ihre unmittelbar persönli-
che Betroffenheit beschränkt ‒ den Faschismus als „Herrschaft der Unmenschlichkeit“ brandmark-
ten, ohne im gleichen Pinselstrich zum organisierten (partei-)politischen Widerstand aufzurufen? Die Meinungen gingen auseinander: Den einen war die Ausstellung schon genügend „agitatorisch, einseitig, parteipolitisch“, andere konnten nicht verstehen, warum solche Einzelgänger, Hilf- und Hoffnungslosen wie Nußbaum in die Ausstellung als „Widerstands“-Künstler aufgenommen wur-
den. Die Meinung, daß Widerstand sowohl agitatorisch nach außen tretend, wie auch im subjektiv dargestellten Erleben des einzelnen geleistet wurde und wird, setzte sich erst allmählich durch.

Das Zentrum der Debatte wurde erreicht, als die Frage nach der „ästhetischen Qualität“ der ge-
zeigten Werke aufgeworfen wurde. Hier wurde offenbar, was eine mit der Restauration des Kapita-
lismus nach ‘45 in den Westzonen notwendigerweise einhergehende Restauration der bürgerlichen Ideologie in den Gehirnen und mit dem Sehvermögen der Kunstliebhaber angerichtet hat: Die „ästhetische Qualität“ müsse generell von „dokumentarischer Qualität“ getrennt werden, hieß es da in einem Redebeitrag ‒ und den Ausstellungsstücken wurde ‒ mit wenigen Ausnahmen ‒ lediglich eine dokumentarische Oualität zugemessen.

Anders formuliert: Die ausgestellten Kunstwerke wurden degradiert zu Quittungen über einen be-
stimmten Geschichtsabschnitt, der heute im bürgerlichen Denken und Reden meist nicht mehr als hochmoralisierende Begriffe wie „grausam“, „totalitär“ und „undemokratisch“ auf sich zieht. Den Werken der Verfemten, Verfolgten, Ermordeten wurde großzügig ein „moralischer Anspruch“ zu-
gebilligt, der es allein noch rechtfertigen sollte, daß diese Ausstellung im Kunstverein gezeigt wur-
de. Fiele dieser vage, moralische Anspruch weg ‒ die Kunstwerke wären als platter Dilettantismus verrissen worden. Ganz in diesem Sinne hatte Glozer ja schon in seiner Besprechung der Karlsru-
her Ausstellung in der SZ vom 7.2.80 über die Kunst nach 1933 formuliert: „… Verschworene Geg-
ner der Nazidiktatur können Propaganda betreiben, da wird die Kunst im konventionellen Medium zur Illustration der moralisch begründeten Rechthaberei. Es gibt keine kreativen Konflikte mehr.“

Grund für die ästhetizistische Abqualifizierung antifaschistischer Kunst: In ihr werden ‒ direkt oder verschlüsselt ‒ politische/gesellschaftskritische Positionen thematisiert, und zur Darstellung dieser Themen werden meist Formen des Realismus verwendet. Merke: Politik/Gesellschaftskritik hat nichts in der „wahren“ Kunst zu suchen ‒ sie ist der „reinen“ ästhetischen Qualität abträglich. Der „Klecks-auf-der-Leinwand-ohne-Titel“ garantiert höchsten „Kunst“genuß, über die Beuyssche „Fettecke“ läßt sich noch streiten, über die rote Fahne oder den Judenjungen auf der Leinwand ist nichts (Ästhetisches) mehr zu sagen.

Dieses „Kunst“verständnis zog Unmut, ja Empörung vieler Anwesenden auf sich. Allein schon die Hartnäckigkeit aber, mit der es noch immer verteidigt und gepflegt wird ‒ und nach wie vor die Medien beherrscht ‒, beweist, dass diese erste großangelegte Ausstellung antifaschistischer Kunst in unserem Lande, und erst recht in München, ein Politikum ist.

Claudia Tümmers


tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 132, Oktober ‒ Dezember 1980, 77 f.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: Kunst/Kultur