Materialien 1980

Kulturkampf

Im Mai 1980 wurde endlich das Sozialversicherungsgesetz für Künstler im Bundestag verab-
schiedet. Gegen die Stimmen der CDU/CSU. Im Juli legte der Bundesrat mit Hilfe seiner CDU/CSU-Mehrheit gegen dieses Gesetz Einspruch ein. Der Vermittlungsausschuß hatte zuvor keine Einigung erzielt. Diese Auseinandersetzung widerspiegelt sehr genau die gesamte kulturpolitische Lage in unserer BRD.

Das Problem ist nicht so neu. Die Geschichte der Not und Armut von Künstlern ist zugleich die Geschichte ihrer Isoliertheit und Nichtorganisiertheit. Zum Beispiel wurde in Bayern 1948 vom Schutzverband Bildender Künstler schon ein Vorstoß in Richtung Krankenversicherungs- und Sozialversicherungspflicht unternommen. Der Versuch scheiterte auch an der mangelnden Einig-
keit und Organisiertheit der Künstler selber.

Der heutige Anlauf zur Sozialversicherung ist weder der sozialen Verantwortung von Regierung und Parteien noch ihren kulturpolitischen Einsichten zu verdanken, sondern ausschließlich dem Druck, der von einer neuen Qualität der Organisierung der Künstler ausgeht. Es begann 1971 beim Künstlerkongreß in der Frankfurter Paulskirche. Der Schriftstellerverband schloß sich der IG Druck und Papier an.

Der BBK trat mit einem Teil seiner Landesverbände der Gewerkschaft Kunst bei. Aber auch die nicht im DGB geeinten Verbände, Akademien mit Professoren und Studenten, unabhängige Künstlergruppen kooperierten mit den Verbänden und stellten ihre Forderungen nach sozialer Sicherheit und demokratischer Kultur.

Der Widerstand der CDU/CSU und der mit ihnen verbundenen Kreise der Wirtschaft und des Fi-
nanzkapitals gegen das Sozialversicherungsgesetz für Künstler entbehrt jeder Grundlage bei den betroffenen Künstlern. Er widerspiegelt keinen „Pluralismus“ von Künstlermeinungen. Die Künstler und Kollegen stehen geschlossen hinter der Forderung nach dem KSVG (Künstlersozial-
versicherungsgesetz).

Welche politische Strategie, welche Vorstellungen stecken nun hinter dieser Konzeption, deren Wortführerin zwar die CDU/CSU ist, die aber vor allem die Konzeption des Kapitals ist und somit auch offen oder latent ihre Einwirkung auf FDP und SPD ausübt? Eine Sozialversicherungspflicht integriert mit einem weiteren Schritt die Künstler in die Gesellschaft, in die Massengesellschaft, gleicht sie wieder ein Stück dem normalen Arbeitnehmer an.

Was ist daran so gefährlich für die Konservativen und Traditionalisten?

Der mächtigste Gegner des privaten Kapitals, des Profits, der Geschäftemacherei ist die organi-
sierte Arbeitnehmerschaft, die Öffentlichkeit, die Durchschaubarkeit, die Kontrollierbarkeit, die Demokratie, die Mitbestimmung, das Gemeinwohl, die Solidarität – Rechte statt Gnaden.

Wie schön und leicht haben die es mit dem Gegenteil: isolierter Mittelstand, Mäzenatentum, Gnade, vielleicht mußt du gar nicht verhungern, vielleicht kriegst du im Alter 300 Mark Ehrensold, aber ja nicht weitersagen, das braucht dein Künstlerkollege ja nicht zu wissen, du bist der Auser-
wählte, ich kauf dir ja auch mal was ab, auch Mozart hat gehungert. Hauptsache es bleibt Privat-
sache, Kunst ist das Subjektive, hüte dich vor Vermassung, dem bösen Gewerkschaftsstaat. DEN GROSSEN REIBACH MIT DEINEN BILDERN MACHEN WIR SCHON ALLEINE!

Die Haltung der CDU/CSU zum KSVG paßt genau in die allgemeine Strategie ihrer Reprivatisie-
rungskampagne, in ihre Kampagne gegen die Gesamtschule bis hin zu ihrer generellen Gewerk-
schaftsfeindlichkeit.

So einfach sind die Fronten, so durchschaubar ist dieses Konzept. Wir Künstler sollten darauf nicht reinfallen und um so energischer den beschrittenen Weg fortsetzen: unsere Organisierung weiter verbessern, noch effektiver zusammenarbeiten.

Das Sozialversicherungsgesetz muß verabschiedet werden. Und wir müssen uns darüber klar sein, daß das der Anfang weiterer Kämpfe sein wird. Hier wird nichts von selbst und jeden Pfennig müssen wir uns ertrotzen. Wenn vom Sparen und Maßhalten geredet wird: Wir Künstler haben gar nichts. Von gar nichts kann man auch nicht sparen.

Guido Zingerl


tendenzen 133 vom Januar ‒ März 1981, 59 f.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: Kunst/Kultur