Flusslandschaft 1988
Frieden/Abrüstung
Am 7. Januar wird in der Fernsehsendung „Explosiv“ der „Industrieberater“ Große-Benne er-
wähnt, ein in Fürstenfeldbruck ansässiger Großverdiener im Waffengeschäft mit dem Iran und dem Irak. Allein für vier Geschäftstransaktionen hat der Mann 7,68 Millionen DM Provision er-
halten. „Aufträge aus dem iranischen Verteidigungsministerium nahm die schwedische Firma Scandinavian-Commodity an und G.B. vermittelte diese an verschiedene europäische Firmen weiter, darunter auch an die Dynamit Nobel AG im bayerischen Troisdorf.“1 Etwa zwanzig Mit-
glieder verschiedener Friedensgruppen organisieren vor seiner Villa eine Mahnwache. Auf einem Flugblatt heißt es: „Geschäfte mit dem Golfkrieg! Tod für viele tausend Zivilisten! Der Waffen-
händler Große-Benne verdient daran.“ Am 24. Januar erfolgen Strafanzeigen eines Privatmannes, eines SPD-Bundestagsabgeordneten, der GRÜNEN und der Eichenauer Friedensinitiative (EFI) wegen Vergehens gegen das Außenwirtschaftsgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz. Schon bald stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein.
„Verfolgung auch im Westen – Nicht nur in der DDR werden Anhänger der Friedensbewegung von Staatsbehörden verfolgt. Das Bayerische Oberste Landesgericht deckt die Justizbehörden bei ihrem Vorgehen gegen Mitglieder der Friedensbewegung, die seit 1985 zur Blockade der jetzt abzurüsten-
den Pershing-2-Raketen aufgerufen haben: Es verurteilte vor kurzem eine 49jährige Altenpflege-
rin, indem es feststellte, ihr Einsatz für den Frieden sei ‚verwerflich’. Nun sollte der 53jährige An-
gestellte Friedrich Müller sogar für neun Tage ins Münchner Gefängnis, weil er ein Flugblatt ver-
teilt hatte, in dem zu einer gewaltfreien Sitzdemonstration in Mutlangen aufgerufen wurde. Als aber die etwa 200 Münchner Mitglieder der bundesweiten Aktion ‚Öffentliche Aufforderung zur Blockade von Atomraketen’ Demonstrationen und Mahnwachen für jeden Tag der Haft ankündig-
ten, wurde der Justiz offensichtlich Angst vor ihrem eigenen Verfolgungsdrang: Zwei Tage vor Haftantritt kam die Verfügung, dass auf die Haft verzichtet und erst einmal versucht werden soll, die Strafe auf andere Art einzutreiben.“2 – „25. Januar: Vor dem Strafjustizzentrum an der Nym-
phenburger Straße demonstrieren rund 40 Personen ‚gegen Diskriminierung der Friedensbewe-
gung in Ost und West’. Anlass der Demonstration ist die Verurteilung eines 52jährigen wegen Auf-
rufs zur Blockade eines Raketenstützpunktes, der wegen der nichtbezahlten Geldstrafe von neun Tagessätzen zum Absitzen der Strafe im Gefängnis aufgefordert worden war. Der Einberufungsbe-
fehl nach Stadelheim war allerdings bereits am 23. Januar zurückgenommen worden.“3
„Panzerbau ohne Antrieb — Die Rüstungsproduktion macht Arbeitsplätze nicht sicherer. Das zeigt die Jahresbilanz des Krauss-Maffei-Konzerns. Aufgrund des rückläufigen Panzergeschäfts wurde die Belegschaft 1987 um drei Prozent auf 4.848 Beschäftigte verringert. Insgesamt sind im Bereich Wehrtechnik mit 684 Millionen Mark fast 29 Prozent weniger bestellt worden als im Vorjahr. Dagegen entwickelte sich die zivile Produktion positiv. Hier stieg der Auftragseingang 1987 um 10 Prozent.“4
„Seit dem 14. März findet täglich von 17.00 bis 18.30 Uhr vor der Neuhauserstraße 4 – 6 eine Mahnwache statt, solange Menschen wegen gewaltfreier Sitzblockaden von Pershing II-Einheiten im Gefängnis sitzen. Seit Beginn der Stationierung im Nov. 1983 haben schon mehr als 100 Men-
schen aus der ganzen BRD Ersatzfreiheitsstrafen von mehreren Monaten abgesessen. Seit Anfang 1988 waren bzw. sind schon 8 Menschen im Gefängnis. Abgesehen von der rechtlichen Problema-
tik der Verurteilungen wegen ‚verwerflicher Gewaltanwendung’ sehen wir die trotz des im Dezem-
ber 1987 unterzeichneten INF-Vertrages unbeirrt weiterlaufende Kriminalisierung dieser Men-
schen als moralischen Skandal an und betrachten die Inhaftierten als politische Gefangene, die vorrangig wegen ihrer Gesinnung verurteilt wurden. Dies wird auch dadurch offenkundig, dass andere Blockaden, wie am Brenner oder in Rheinhausen von der Justiz nicht als kriminelles Un-
recht gewertet werden. Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung, Regionalgruppe Mün-
chen.“5
„Aufruf zum Ostermarsch 1988 – Weg mit Atomwaffen! – Zum Ostermarsch 1988 hat der Beirat der IG Metall Politiker und Regierungen aufgefordert, die Chancen für Abrüstung konsequent zu nutzen. Die Vereinbarungen zum Abbau eines Teils der atomaren Waffenarsenale seien ein Hoff-
nungsschimmer für die Menschen in der Welt. In dem Aufruf heißt es unter anderem weiter: ‚Wir unterstützen alle diejenigen, die sich für weitere Abrüstungsschritte einsetzen. Der erreichte Teil-
erfolg darf nicht durch neue Aufrüstung unterlaufen werden. Wir treten ein für
◊- eine schrittweise Senkung der Rüstungsausgaben,
◊- eine strikt defensive Ausrichtung der Bewaffnung bei uns und in anderen Ländern; Ziel muss es sein, die Fähigkeit, andere Staaten auf ihrem Territorium anzugreifen, abzubauen und zu beseiti-
gen,
◊- ein wirksames internationales Teststoppabkommen für Atomwaffen,
◊- ein von Atomwaffen und Chemiewaffen freies Europa.
Mit anderen gemeinsam kämpfen wir gegen
◊- die Modernisierung oder den weiteren Ausbau nuklearer Systeme im Mittel- und Kurzstrecken-
bereich,
◊- den Missbrauch des Teilerfolgs bei der nuklearen Abrüstung zur Rechtfertigung neuer konven-
tioneller Aufrüstung,
◊- die Entwicklung, den Bau und die Stationierung neuer chemischer und biologischer Waffen.
Zum Ostermarsch 1988 fordern wir unsere Mitglieder auf, zur Unterstützung dieser Ziele gemein-
sam mit anderen aktiv zu demonstrieren.’“6
„2. April: Aus vier Richtungen ziehen heute Demonstranten nach Auftaktkundgebungen auf den Marienplatz, um dort im Rahmen des Ostermarsches ‘88 für weitere Abrüstung und eine ’Atom-
waffenfreie Welt im Jahr 2000’ zu demonstrieren. Veranstalter des Ostermarsches sind insgesamt 15 Initiativen und Organisationen so verschiedener Herkunft wie ‘Christen in der Region Mün-
chen’, Kreisjugendring, SPD, Grüne, DKP und Gewerkschaftsbund. Ein großes Transparent hinter dem Rednerpodium verkündet das Motto des Ostermarsches ‘88: ’Der erste Schritt ist getan. Jetzt weiter abrüsten’. In einem Aufruf werden unter anderem Verhandlungen mit der DDR und der Tschechoslowakei zur Schaffung von atom- und chemiewaffenfreien Zonen in Europa verlangt. Gefordert wird auch ‘das Rüstungszentrum München’ in ein Zentrum des Friedens zu verwandeln. Als Vertreter der Stadt begrüßt Bürgermeister Hahnzog die vielen Aktivitäten in der Stadt für den Frieden. Weitere Redner kommen von der DKP und der Gewerkschaft, außerdem spricht der Tü-
binger Theologe Norbert Greinacher.“7 – Am 1. September werden nach Abrüstungsvereinbarun-
gen zwischen den USA und der Sowjetunion die ersten in der Bundesrepublik stationierten Per-
shing II-Raketen abgebaut.
1. September, Antikriegstag: In München warnt IG Metall-Vorstandsmitglied Gudrun Hamacher davor, Frauen zum Dienst in der Bundeswehr zuzulassen: „Mit Gleichberechtigung oder Emanzi-
pation hat der Dienst an der Waffe überhaupt nichts zu tun.“
1988 ist die Bundesrepublik der fünftgrößte Waffenexporteur nach der UdSSR, den USA, Frank-
reich und fast gleichauf mit Großbritannien. Zwanzig Jahre später nimmt die Bundesrepublik den dritten Platz ein.
1 Mütter Courage. Zeitung der Mütter gegen Atomkraft 1/1991, 12.
2 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 3 vom 5. Februar 1988, 7.
3 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 20, 1.
4 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 4 vom 19. Februar 1988, 5.
5 Der Stadtbote. Politischer Rundbrief für München 25 vom 15. April 1988, 3.
6 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 6 vom 18. März 1988, 10.
7 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 78, 1; Fotografien Grete Schaa, Sammlung Friedrich Müller.
8 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung