Flusslandschaft 1989

Flüchtlinge

Rund 4.500 Asylsuchende halten sich im Frühling in städtischen Sammelunterkünften, Pensionen, Turnhallen, Zeltlagern und Containern in München auf. In Pensionen sind es oft winzige Zimmer, die von einer ganzen Familie bewohnt werden. Die Stadt zahlt hier pro Person und pro Tag 25,- DM. In der staatlichen Sammelunterkunft in der Untersbergstraße herrschen unhygienische Zu-
stände. Jede/r der 600 Bewohner/innen verfügt über eine durchschnittliche Wohnfläche von 6,9 qm. „… Da Asylbewerber einem 5-jährigen Arbeitsverbot während der Verfahrensdauer unterlie-
gen (ausgenommen … Ostblock-Flüchtlinge), sind sie Sozialhilfeempfänger, aber mit Einschrän-
kung. Der Sozialhilfe-Regelsatz wird pauschal um 15 Prozent gekürzt, da von einem minderen Be-
darf ausgegangen wird. (Im Heimatland haben ja in der Regel wirtschaftlich weniger entwickelte Zustände geherrscht.) In staatlichen Sammelunterkünften wird ‘sammelverpflegt’, d.h. 3 mal pro Woche ein Essenspaket und ein Taschengeld von 83,- DM pro Person. (Gleichzeitig besteht die Möglichkeit (teilweise auch die Verpflichtung) zu sogenannter sozialer Arbeit für 1,70 DM pro Stunde, z.B. Säuberungsarbeiten im Tierpark und Bücherpflege in Bibliotheken. Notwendige medi-
zinische Behandlungen sind Ermessensfrage wie so vieles. Zahnersatz, Operationen und Prothesen werden nur bei Lebensgefahr gewährt. — Ein weiterer Brennpunkt ist momentan wieder die Be-hördenpraxis des Münchener Kreisverwaltungsreferates, Sachbereich Asyl. Die Verlängerung der Aufenthaltsgestattung wird sehr restriktiv gehandhabt. Stempel für 14 Tage oder für 1 Monat sind keine Seltenheit, lange Wartezeit, oft Tage vor den Türen der zuständigen Sachbearbeiter, weil der Zustrom so groß wird, und beträchtliche MVV-Kosten für die Fahrten zu den Behörden sind die notwendige Folge …“1

In der Ickstattstraße 32 engagiert sich die Initiative für Flüchtlinge e.V.

„Der Ortsvorstand der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV) München hat be-
schlossen, in einem Offenen Brief an OB Kronawitter gegen die Ausweisung des kurdischen Ehe-
paares Sengül zu protestieren. Der Oberbürgermeister wird aufgefordert, die Ausweisung zu ver-
hindern, da E. Sengül in der Türkei mittels Haftbefehl gesucht wird wegen seiner Unterstützung der Befreiungsbewegung in Kurdistan. In einem weiteren Antrag wurde beschlossen, Ausländer-
feindlichkeit und Rechtsradikalismus zum Thema in Fachgruppen und Betrieben zu machen. Des weiteren beschloss der Ortsvorstand der HBV, sich als Unterstützer an der antifaschistischen Kon-
ferenz am 13./14. Januar 1990 zu beteiligen.“2

(zuletzt geändert am 29.11.2020)


1 Die grüne MAMBA. Monatlicher Rundbrief der Fraktion DIE GRÜNEN/ALM im Rathaus 41 vom Mai/Juni 1989, 11.

2 Münchner Lokalberichte 26 vom 22. Dezember 1989, 1.