Flusslandschaft 1989

Lebensart

„2. Juni: Gegen mehrere Demonstrationen und Kundgebungen im Zentrum, die für morgen vorgesehen sind, protestieren verschiedene Organisationen. Die Israelitische Kultusgemeinde protestiert gegen die vorgesehene Kundgebung der Deutschen Volksunion am Sendlinger-Tor-Platz, die ‚Interessengemeinschaft Residenzstraße’ protestiert gegen die Anti-Atom-Demonstration, befürchtet Geschäftseinbußen am langen Samstag und beschwert sich, ihr würde zur besten Kaufzeit ein ‚Sicherheitsrisiko’ vor die Tür gekippt.“1 Auch die Polizei beklagt die große Anzahl von Veranstaltungen mit politischem Hintergrund.2

Die DDR taumelt ihrem Ende entgegen und immer mehr DDR-Bürger tauchen ab Mitte November in München auf, die nicht nur willkommen sind. Im „Sicherheitsreport“ des Polizeipräsidiums heißt es: „Seit Ende 1988 wurden auf 15 ‚Ostblockautos’ Brandanschläge verübt und weitere 17 Fahrzeuge durch Zerstechen von Reifen, Einschlagen von Scheiben und Beschmieren mit Farbe beschädigt. Die Anschläge speziell auf Fahrzeuge aus der DDR begannen am 12.11.89. Bisher wurden drei Brandanschläge und 11 weitere Sachbeschädigungen bekannt. Ein 45jähriger deutscher Frührentner konnte, unmittelbar nachdem er ein Fahrzeug angezündet hatte, festgenommen werden. Als Motiv gab er ‚soziale Ungerechtigkeit’ an.“3

Bei den regelmäßig konjunkturell auftauchenden Beschimpfungen, die über München herziehen, finden sich im Zeitalter postmoderner Befindlichkeiten auch Ergüsse, die sich eher selber richten.4


1 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 125, 1.

2 Siehe „Veranstaltungen mit politischem Hintergrund“.

3 Sicherheitsreport 1989. Polizeipräsidium München, München 1990, 9.

4 Siehe „Fröhlicher Urschrei“ von Joseph von Westphalen.