Flusslandschaft 1995
Stadtviertel
Zwischen Weber- und Ismaninger Straße in Bogenhausen liegt der »Bürgermeistergarten«. Hier will der Freistaat einen Neubau für das Finanzgericht bauen lassen. Dafür sollen 42 Bäume und Großsträucher weichen, weitere 14 voraussichtlich auch. Die BI »Rettet den Bürgermeistergarten« demonstriert Anfang August. »Daß die bisherige Verteilung der Finanzgerichtssenate auf mehrere Gebäude keine wünschenswerte Situation ist, sehen die Bürger durchaus ein. Nur: Angesichts des allseits bekannten Überangebots an Gewerberäumen gebe es keinen Grund, warum für die Zusam-
menlegung ausgerechnet die ,grüne Lunge Bogenhausens’ geopfert werden sol1. Heinz Mayer, einer der Beschwerdeführer, bezeichnete die Rodungsmaßnahmen als ,ökologischen Raubbau’, von ‚Ersatzpflanzung’ könne angesichts der Zerstörung des alten Baumbestands wohl keine Rede sein. Zu erwarten sei aber auch eine spürbare Zunahme des Autoverkehrs, da man nicht davon ausgehen könne, daß alle Rechtsanwälte oder Zeugen mit dem MVV ankommen.«1
Im Herbst wird bekannt, daß in Haidhausen demnächst rund 1.000 Wohnungen in Eigentums-
wohnungen umgewandelt werden können und daß 950 Sozialwohnungen aus der Sozialbindung fallen.
„Wer beobachtet, wie seit über 20 Jahren der Charakter eines Vorortes von München mit her-
vorragender gewachsener sozialer Infrastruktur, basierend auf einer gemischten Wohnbevölke-
rung, die in Einund Zweifamilienhäusern siedelte, durch Nachverdichtung in Form von Luxus-
eigentumswohnungsbauten zerstört wird, kann den Unmut der Bräutigamstraße-Anwohner nur zu gut verstehen. Die Eigentumswohnungsbauten bestehen zumeist aus Einheiten, die größenmäßig nur für Ein-/Zweipersonenhaushalte Raum geben. Bereits jetzt steht so manche Wohnung, die nur als Anlageobjekt dient, leer. Die Konzeptlosigkeit unserer Stadtplaner, die dem Ausführungsorgan LBK grünes Licht gibt, einen Betonklotz nach dem anderen zu genehmigen, ist unverantwortlich. Die jetzt von der Obrigkeit geförderte Monokultur der Bebauung führt zwangsläufig zu einer Mo-
nokultur der Bevölkerung, die das einstmals familienfreundliche und individuell strukturierte Solln zu einer prestigeträchtigen Schlafstadt für Singles und Zweitwohnungsbesitzer macht. Wann ringt man sich endlich durch, noch unverbaute idyllische Straßenzüge Altsollns unter Ensemble-
schutz zu stellen, bevor auch sie, amorph und planlos nur nach kommerziellen Gesichtspunkten, wie schon an der Prinz-Ludwigs-Höhe geschehen, zersiedelt werden? Dr. Regine Hauck-Schröder, Buchhierlstraße 1, 81479 München“2
1 Münchner Stadtanzeiger 32 vom 10. August 1995, Ausgabe Münchner Osten, 1.
2 Süddeutsche Zeitung 245 vom 24. Oktober 1995, 38.