Materialien 1986
Autos, Zufälle und zeitgenössische Kunst
Karl Valentin verdanken wir den Dialog über den Zufall und den Radfahrer. War doch gerade einer vorbeigekommen, als er mit einem Freund in der Kaufingerstraße von Radfahrern gesprochen hatte. Der Hinweis, daß da über den Tag Tausende durchradelten, mochte ihn nicht davon ab-
bringen, auf sein Zufallsprinzip zu pochen.
Es geht auch mit anderen Verkehrsmitteln: „Das Automobil in der Kunst“ hieß eine von BMW gesponserte Ausstellung im Münchner Haus der Kunst (Katalog: Prestel Verlag München, 350 S., 408 Abb., 78,- DM). Präsentiert wurden neben Kfz-Nippes und edlen Karosserieaccessoires (unter anderem wurde ein gigantischer Rolls-Royce-Kühlergrill über den Mittelteil der Nazisäulenfassade des Veranstaltungsorts gehängt und paßte da gar nicht so übel hin) Werke der bildenden Kunst. Voraussetzung: ein Auto oder ein Teil davon mußte – wenn auch noch so zufällig – vorkommen. Dufys „Bois de Boulogne“, Schlichters „Bildnis Bert Brecht“ (richtig: der steht vor einem Stück Auto), Bilder von Dali und Warhol und Grützke und Duwe und vielen anderen. Schöne Sachen zuweilen, eingebaut in eine Kolossalaccrochage aus Kunst, Kitsch und Kalauern.
Dem Kritiker der SZ gefiel’s: „Diese Ausstellung könnte durch ihren kulturhistorischen Ansatz etwas fördern, das in diesem Lande noch immer beargwöhnt wird: die Kooperation von Industrie und Kultur, von Massenprodukt und elitärem Anspruch. In den USA ergab sich durch die tradi-
tionelle Kulturförderung der Industrie längst ein fruchtbares Zusammenleben.“
Kann er haben. Am selben Ort, von März bis Mai 1987. Allerdings kommt die Befruchtung aus Frankreich, vom „Comité Colbert“, einer Interessengemeinschaft von 70 Unternehmen, die vom Parfum über Schaumwein bis zu Mode und Bijouterien alles produzieren, was gut sein soll und teuer ist. „Arts de Vivre en France“ wollen sie vorstellen – wohl noch bunter in der Mischung als die Autoschau. „Prächtig“ nannte einer der Comité-Vertreter vor der Presse das dafür erwählte Ausstellungsgebäude, und im Begleitmaterial kann man zu dessen Geschichte nachlesen: „Haus der Kunst München: Eine weltweite Ausstrahlung – Nach der Zerstörung des Glaspalastes im Alten Botanischen Garten (1931) begannen die Planungen für das Haus der Kunst. Nach den Plänen von Paul Ludwig Troost wurde das Gebäude von 1933 bis 1937 errichtet. Nach seiner Eröffnung (1937) wurde es bis 1944 für Ausstellungen zeitgenössischer deutscher Kunst benutzt …“ – Die Gnade der späten Geburt in der Pressemappe. Schon wieder ein Zufall.
Ernst Antoni
tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 156 vom Oktober/Dezember 1986, 80.