Flusslandschaft 1990

Kinder

In der nordöstlichen Ecke des Kulturzentrums am Gasteig befindet sich eine Aussparung. Hier steht das Anwesen Kellerstraße 8, in dem ein Kindergarten und eine Kinderkrippe eingerichtet werden sollen.1

„In München hat die Justiz unlängst die Ermittlungen gegen eine Sozialarbeiterin des Jugendamts eingestellt. Der Frau wurde vorgeworfen, sie habe es jahrelang versäumt, den kleinen Patrick Feue-
rer vor seiner eigenen Mutter zu schützen. »Der Patrick ist in einem unbeobachteten Moment ins kochendheiße Badewasser gestiegen«, hatte die Mutter des damals dreijährigen Kindes behauptet, als dieses im Herbst 1988 mit einer schweren Verbrühung seines gesamten rechten Beines ins Krankenhaus eingeliefert worden war. So recht glauben wollte das niemand. Dennoch durfte Ra-
mona Feuerer ihren Jungen nach Hause mitnehmen. Anderthalb Jahre später erstickte Patrick nach brutalen Folterungen durch seine Mutter und deren Lebensgefährten.“2 Ramona Feuerer be-
kommt zwölfeinhalb Jahre Haft. Hannelore Wolsdorff vom Münchner Kinderschutzbund reicht das nicht. Sie verweist auf das alltägliche Wegsehen der Mitbürger. Da sei der Papi, der seine drei-
zehnjährige Tochter immer wieder zwingt, sich auszuziehen, der sie dann „zärtlich“ streichelt. Da gebe es den Opa, der so gerne vor der fünfjährigen Enkelin onaniert und ihr einredet: „Sag’ bloß nichts der Mami, das ist unser Geheimnis.“ Viele Leute, Verwandte und Bekannte müssten das mitbekommen. Die Opfer schweigen aus Scham. Und wenn sie sich jemandem anvertrauen, glaubt ihnen keiner. Dem Kinderschutzbund sind häufig die Hände gebunden. Und es gibt kaum Kinder-
schutzzentren, weil es an Geld fehlt.

Körperliche und, nicht zu vergessen, seelische Gewalt gegen Kinder findet in der Regel in der Fa-
milie statt. Mädchen stellen 90 Prozent der Opfer von sexueller Gewalt. Weltweit sind 177 Millio-
nen Kinder unterernährt, sterben täglich 40.000 Kinder an Hunger und Krankheiten. Am 20. September ist Weltkindertag. Sonntagabend, 23. September: 5.000 Menschen stehen bei einer Mahnwache auf dem Marienplatz, über 800 Kerzen verwandeln ihn in ein Lichtermeer.

Am Samstag, 29. September, demonstrieren mehrere Tausend ErzieherInnen, Eltern und Kinder um 10.30 Uhr von der Münchner Freiheit zum Odeonsplatz für mehr Krippen, Kindergärten, Hor-
te, Tagesheime, mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung.

Die Adresse des Kinderschutzzentrums in München lautet Pettenkoferstraße 10a, 8000 München 2, Telefon: 555356.


1 Siehe „Das Haus Kellerstraße 8 gehört den Kindern“.

2 Der Spiegel 24 vom 7. Juni 1992.