Materialien 1967
Erklärung zu Fragen der Kunst und Literatur
Kulturfragen gehen jeden an; denn das l’art pour l’art, die Kunst um der Kunst willen, ist ein überlebter Standpunkt. Die Geschichte und das Leben beweisen: Die Kultur übt einen starken gesellschaftlichen und auch politischen Einfluß aus. Sie kann von den Problemen ablenken und Bestehendes stabilisieren helfen, wo es geändert werden müßte; ja, sie kann sogar im Dienste der Reaktion zur Verherrlichung von Militarismus und Kirchenherrschaft, Faschismus und Krieg mißbraucht werden – ein Engagement, das sie selbst zerstört. Sie kann aber auch anders. Heute wie in der Vergangenheit spielen Kunst und Literatur eine vorwiegend progressive Rolle. Gerade jene Künstler und Schriftsteller, die eine fortschrittliche gesellschaftliche Entwicklung gefördert haben, konnten ihren künstlerischen Ruf festigen. Sie haben Werke von bleibendem Wert ge-
schaffen. Dies beweisen die großen Namen von Büchner bis Brecht und Sartre, von Goya bis Picasso und von Beethoven bis Eisler.
Das politische Engagement vieler Künstler und Schriftsteller für den Frieden und gegen den Hunger in der Welt, gegen die Ausbeutung und Unterdrückung der Menschen, gegen Faschismus und Krieg, gegen die Aggression der USA in Vietnam und gegen die Notstandsgesetze, zeugt von einem hohen Verantwortungsgefühl.
Humanismus und soziale Verantwortung zwingen die Kulturschaffenden Stellung zu nehmen.
Wir begrüßen diese vorbildliche Haltung vieler Künstler und Schriftsteller.
Durch ihr Handeln erwerben sie sich bleibende Verdienste. Die Deutschen unter ihnen zählen zur geistigen Repräsentanz unseres Volkes.
Mit Interesse verfolgen wir auch, wie sich Künstler und Schriftsteller in zunehmendem Maße mit den Problemen der modernen Arbeitswelt auseinandersetzen. Im Prozeß der Ausbeutung wird der Mensch gezwungen, die meiste Zeit seines Lebens in einer ihm entfremdeten Umwelt zu verbrin-
gen und sich ständig weiter selbst zu entäußern. Der Mensch wird zur Nummer, zum manipulier-
ten Objekt. Er schafft für andere den Reichtum, für sich selbst die Frühinvalidität. Im Betrieb wird der Staatsbürger zum Untertan.
Wo der Befehl die einzige Form der Leitung eines Gemeinwesens ist – so wie in der Kaserne und im Betrieb –, dort wird das Denken abgeschafft, dort hört das Menschsein auf.
Der deutsche Freidenkerverband als sozialistische Kulturorganisation wünscht einen noch besse-
ren Kontakt zwischen Kulturschaffenden und Arbeitern. Sie sollten ihre gegenseitigen Probleme besser kennen- und vor allem verstehen lernen.
Nicht zuletzt sieht der DFV seine Aufgabe darin, bei den Arbeitern das Verständnis für Kunst und Literatur zu verbreitern und sie mit den Werken der Kultur vertraut zu machen.
Die Künstler und Schriftsteller bitten wir, uns dabei zu helfen. So, will es uns scheinen, ist beiden Seiten geholfen.
DEUTSCHER FREIDENKERVERBAND E.V
Landesvorstand Bayern
i.A. M. Lazarus
Verantwortlich: Michael Lazarus, 8 München 13, Schwindstr. 17/ll
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