Materialien 1992
Gipfel brutal und die Gebrüder Grimm
Für uns war es während des Treffens der sieben Regierungschefs imperialistischer Länder in München wie in einem Märchen der Gebrüder Grimm. Für die Reichen der Ersten Welt: „Tischlein deck Dich!“ Für die frühere Zweite und die Dritte Welt: „Esel streck Dich!“ Für die GegnerInnen eines menschenverachtenden Systems: „Knüppel aus dem Sack“!
Tischlein deck Dich
Der einzige Zweck von Treffen der Vertreter reicher Industrienationen ist und bleibt, den Reich-
tum der Reichen zu verteidigen, sie noch reicher und die Armen noch ärmer zu machen. So war es auch in München. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa stellte der Münchner Gipfel vor allem die Weichen für die politische und ökonomische Aufteilung Osteuropas. Hierbei spielten die deutschen Vertreler eine dominierende Rolle. Ist es doch ihr Ziel, Osteuropa in den Hinterhof Westeuropas unter deutscher Vorherrschaft zu verwandeln, ähnlich wie es der US-Im-
perialismus in Lateinamerika tut. Und auch die beschlossene Sanierung von Atommeilern, insbe-
sondere in den GUS-Staaten, stellt phantastische Gewinne für einige multinationale Konzerne in Aussicht. Insgesamt war der „Weltwirtschaftsgipfel“ in München ein Gipfel dicker Gewinne, halt „ein Tischlein deck Dich“ für eine kleine Minderheit.
Esel streck Dich
Ganz anders stellte sich der G 7-Gipfel dagegen für die Mehrheit der Menschheit dar. Ihre Pro-
bleme wurden wiederum nicht angesprochen (siehe mehr darüber im Freidenker-lnfo, Mai bis August 92). Angesprochen und „geregelt“ wurde stattdessen eine Steigerung des Abhängigkeits-
verhältnisses des „Restes der Welt“ von den Metropolen der Reichen, deren innere Triebkraft die Profitmaximierung ist. Damit dies so bleibt, ja sich noch steigert, werden die meisten Länder gezwungen, ihre Wirtschaft vollständig auf den Export zu orientieren, zu den Bedingungen des Preisdiktates der kapitalistischen Länder. Und das bedeutet für die Armen dieser Erde: Vermehrte Ausbeutung und Unterdrückung, unter dem Motto: „Esel streck Dich“.
Knüppel aus dem Sack
2Gipfel brutal – eine Schande für München“; „München atmet auf“; „Festung München“; „Gipfel der Angst“; „Gipfel der Zumutungen“, so lauteten einige Schlagzeilen der Zeitungen. Bekanntlich hatte sich ein bundesweit breites Bündnis demokratischer Organisationen und Einzelpersonen gebildet, das einer breiten Weltöffentlichkeit Einblick in die verheerenden Konsequenzen der Po-
litik der vom Weltwirtschaftsgipfel repräsentierten kapitalistischen Weltordnung geben wollte. Bereits bei der Vorbereitung konkreter Aktivitäten wurde die „Marschroute“ der Staatsmacht überdeutlich. Veranstaltungen wurden nicht nur bespitzelt, sondern auch gewaltsam aufgelöst, Hausdurchsuchungen durchgeführt, Flugblattverteiler festgenommen. Kurzum: Kritiker/innen des 30-Millionen-Spektakels wurden bereits im Vorfeld kriminalisiert, zu gewaltbereiten Tätern abge-
stempelt.
Diese ließen sich aber von all dem nicht abhalten. Ihre wichtigsten Aktivitäten in den ersten Julitagen in München waren: Internationaler Gegenkongreß, Großdemonstration mit mehr als 15.000 Teilnehmer/innen, Begrüßung der Mächtigen mit Trillerpfeifen und Buh-Rufen (be-
kanntlich wurden dabei 491 Personen mit brutaler Gewalt festgenommen). Da im Einzelnen über diese und weitere Aktionen ziemlich objektiv in den Medien berichtet wurde, braucht man nichts weiteres dazu zu sagen. „Knüppel aus dem Sack“ enthüllte den Charakter von Teilen des Staates als Instrument der Herrschenden.
Abschließend: Die Ergebnisse des Gipfeltreffens und die Ereignisse in München haben die kri-
tischen Stimmen anwachsen lassen gegen den Konsens zwischen den Führungen der reichen Industrieländer, transnationaler Konzerne, Banken und korrupter Regimes in verschiedenen Ländern. Größer geworden ist sogleich der Kreis derjenigen, der sich davon leiten läßt, dass am Zustand der Welt nur dann etwas grundlegend verändert wird, wenn sich die Herrschaft über die Welt verändert.
Freidenker Info September – Dezember 1992, 1 f.