Materialien 1984
Verletzung der Meinungs- und Gewissensfreiheit der Lehrer durch die Bayerische Staatsregierung
Die bayrische Staatsregierung verlangt von allen Lehrern, die nicht einer christlichen Kirche angehören, daß sie einen Revers unterschreiben und sich verpflichten, die Schüler christlich zu erziehen:
„Ich erkläre hiermit, daß ich die Schüler nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichte und erziehe.“ (Art. 135 Bayerische Verfassung)
Diese Verpflichtung, die allen nichtchristlichen Referendaren vorgelegt wird, wurde 1984 auch unterfränkischen Lehrern zugestellt.
Entgegen den Bestimmungen der bayrischen Verfassung und des Grundgesetzes werden die Lehrer gezwungen, weltanschauliche Grundsätze zu vertreten, die von Staats wegen favorisiert werden. Diese weltanschauliche Gleichschaltung eines ganzen Berufsstandes verletzt nicht nur die Rechte der Persönlichkeit, sondern verfolgt offenbar das Ziel, die gesamte Lehrerschaft zu disziplinieren und zur opportunistischen Anpassung zu zwingen. Solche Maßnahmen bedrohen nicht nur die be-
troffenen Lehrer, sondern letztlich alle, die frei und unabhängig denken und handeln wollen.
Zur verfassungsmäßigen Einschätzung dieser Maßnahme :
Mit dieser Verpflichtungserklärung wird eine bestimmte Gruppe von Lehrern eindeutig diskrimi-
niert, da man von ihnen eine Sondererklärung verlangt, die über den von jedem Beamten zu leis-tenden Diensteid hinausgeht. Außerdem verstößt diese den Lehrern abgeforderte Erklärung gegen folgende Grundgesetzartikel:
Art. 3, Abs. 1: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Abs. 3: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 4, Abs. 1: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen umd weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Art. 5, der das Recht der freien Mei-
nungsäußerung garantiert. Art. 33, vor allem Abs. 3: „Der Genuß bürgerlicher und staatsbürger-
licher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind, unabhängig vom religiösen Bekenntnis. Niemand darf aus seiner Zugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.“
Der Hinweis auf Art. 135 der bayrischen Verfassung kann nicht überzeugen. Dieser Artikel wider-
spricht – wie übrigens alle anderen Artikel, die die beiden großen Amtskirchen im öffentlichen Bereich und hier vor allem im Bildungswesen privilegieren – den oben erwähnten Grundrechten des Grundgesetzes und kann deshalb keine normative Kraft beanspruchen.
Zur politischen Einschätzung dieser Maßnahme
Zu fragen ist, was nun konkret unter den „Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse“, nach denen die Schüler zu unterrichten und zu erziehen sind, zu verstehen ist. sind dies die politischen Ziele der CDU/CSU? Wenn ja, welcher Gruppierung unter ihnen? Sind zum Beispiel die Ansichten des Familienministers Geißler bezüglich der Rückgängigmachung der zaghaften Liberalisierung des $ 218 maßgebend oder das Minderheitsvotum der weiblichen CDU/CSU-Abgeordneten im Bundes-
tag? Gelten nun die Auffassungen von Militärgeistlichen und anderen Klerikern und Theologen, die die sogenannte „Nachrüstung“, d.h. die Stationierung von amerikanischen Erstschlagwaffen in der BRD rechtfertigen, oder gelten die Überzeugungen von Christen beider Konfessionen, die sich in der Friedensbewegung engagieren? Gehört gar zu den Prinzipien der christlichen Bekenntnisse das Nicht-in-Frage-stellen des Privatbesitzes an Produktionsmitteln, wie es die Ausführungen so mancher Theologen nahelegen?
Es ist realistischerweise anzunehmen, daß die Prinzipien so verstanden werden sollen, wie sie die herrschenden Kreise der CDU/CSU und die reaktionären Kräfte des politischen Klerikalismus der beiden Großkirchen definieren. Damit ist der politischen Gesinnungsschnüffelei Tür und Tor geöffnet und auch möglicherweise der Schnüffelei in bezug auf die private Lebensführung der Lehrer. Die Lehrer sollen noch stärker eingeschüchtert und auf die reaktionären Bildungs- und Erziehungsziele verpflichtet werden. Offensichtlich reicht der bayrischen Kultusbürokratie das Disziplinierungsmittel der Berufsverbote nicht mehr aus, um die Lehrer zu blinden Erfüllungs-
gehilfen ihrer reaktionären Politik zu machen. Auch angesichts der Tatsache, dass immer mehr Kinder in unseren Schulen nicht zu den beiden Großkirchen gehören, weil sie nicht getauft sind oder ein anderes Bekenntnis haben – man denke nur an die Ausländerkinder –, stellt diese Ver-
pflichtungserklärung einen Skandal ersten Ranges dar. Das Grundrecht der Religionsfreiheit gilt auch für diese Kinder und darf nicht noch weiter eingeschränkt werden.
Der Deutsche Freidenkerverband protestiert aufs schärfste gegen diese undemokratische Maß-
nahme und verlangt deren sofortige Rücknahme.
Deutscher Freidenker Verband e.V. Ortsgruppe München, Veranstaltungs-Programm 1985, 121 ff.