Flusslandschaft 1993

AusländerInnen

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Für den 29. Januar ruft die IG Medien zu fünfzehn Mahnminuten gegen Ausländerfeindlichkeit und für Toleranz auf. Beim Süddeutschen Verlag kommt es gemeinsam mit der Geschäftsführung zu einer Versammlung, vor dem Bayerischen Rundfunk stehen Mitarbeiter mit Plakaten.

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Die Anfang diesen Jahres anlaufende Plakataktion der Schwabinger Friedensinitiative für ein friedliches Zusammenleben mit ausländischen Mitbürgern nennt sich „Aktion Schwabinger An-
schläge“. Das ganze Jahr über sollen Plakatwände gemietet und gestaltet werden. Im April 1994 werden die Ergebnisse in einer Ausstellung in der Seidlvilla zu sehen sein.3

Einige Vertreter der politischen Eliten schütten Öl ins Feuer. Mit ihren xenophoben Äußerungen tragen sie zu den in weiten Kreisen der Bevölkerung latent vorhandenen Ressentiments bei.4 „In der Nacht zum Donnerstag, den 28. Januar 1993, wurden in München und Umgebung Plakate aufgehängt. Diese waren optisch den Terroristen-Fahndungsplakaten des BKA nachempfunden, jedoch waren darauf Politiker abgebildet, die durch hetzerische Äußerungen gewalttätige Übergrif-
fe auf AusländerInnen gefördert haben. Bezeichnende Zitate finden sich unter den jeweiligen Fotos der Politiker. Ziel dieser Aktion war einerseits, den Zusammenhang zwischen der Stimmungsma-
che etablierter Politiker und rechtsradikaler Gewalt gegen ausländische MitbürgerInnen aufzuzei-
gen. Andererseits soll durch die Form (Terroristenfahndungsplakat) darauf hingewiesen werden, dass das Vorgehen des Staats gegen linke Straftäter in keinem Verhältnis steht zu seiner Reaktion auf rechte Straftäter (Keine § 129 a-Verfahren gegen Nazis, Einzeltätertheorien, Althans darf vor versammelter Polizei Hitlergruß machen, usw.). Dieses Missverhältnis wurde nach der Festnahme von sechs Plakatierern erneut bestätigt. Die Leute wurden voneinander isoliert, bis zu fünfzehn Stunden lang festgehalten, mehrfach verhört, ED behandelt und mit U-Haft bedroht. Außerdem wurden bei allen Hausdurchsuchungen gemacht, die Staatsanwalt Simper angeordnet hatte. Er-
mittelt wird nun wegen Beleidigung, Amtsanmaßung, Verstoß gegen das Pressegesetzt und Ver-
dacht auf Sachbeschädigung. (Dokumentation des Plakats und der Presserklärung)“5

Zehn Tage nach den Brandanschlägen von Solingen (29. Mai), München und Berlin beantragen vier Frauen und acht Männer mit türkischem Pass beim Kreisverwaltungsreferat einen Waffen-
schein mit der Begründung, sich so selbst besser schützen zu können. Das KVR lehnt die Anträge ab.6

Am 23. Juni kommt es zu einer Massenschlägerei zwischen einer Gruppe deutscher und deutsch/ ausländischer Jugendlicher. Mehrere Personen werden schwer verletzt. Der Streit brach aus, nach-
dem ein Mitglied der deutschen Gruppe eine 25-jährige Farbige in einer Gaststätte als „Neger-
schlampe“ beschimpft und ihr ein Glas Bier über die Kleidung geschüttet hatte.

Am 28. Juni tritt die Änderung des Grundgesetzartikels 16 in Kraft: Politisch Verfolgte genießen zwar Asylrecht, können aber in den „sicheren Drittstaat“, aus dem sie eingereist sind, zurückge-
schickt werden. Die Definition der „sicheren Herkunftsstaaten“ wird sehr eng ausgelegt. Deutsch-
land wird für viele Asylsuchende praktisch unerreichbar.

Beim Internationalen Straßenfest am 3. Juli im Westend spricht vor einem Transparent, das „Dop-
pelte Staatsbürgerschaft und Wahlrecht für alle“ fordert, der Schriftsteller August Kühn.

Vier Wochen lang bis zum 8. August ist im Pavillon des Alten Botanischen Gartens die Ausstel-
lung „Wehret den Anfängen“ zu sehen.7

Am 13. Juli schlagen Skinheads am S-Bahnhof München-Langwied drei kroatische Jugendliche nieder und beschimpfen sie als „Kanaken“.

Etwa zweihundert Beamte des Polizeipräsidiums München und des Bundesgrenzschutzes stürmen am 15. Juli in Kampfanzügen und Springerstiefeln ohne erkennbaren Anlass den Münchner Haupt-
bahnhof. Sie suchen illegale Ausländer, Rauschgiftsüchtige und Stadtstreicher, überprüfen 787 Personen und nehmen sieben fest. Zahlreiche Touristen verpassen ihre Fernzüge. Passanten fra-
gen, ob hier ein „Tatort“ gedreht werde oder ob es sich um eine „Übung nach Bad Kleinen“ handle.

„Geburtsland: Jeder fünfte von den Behörden als ‚Ausländer’ bezeichnete Bewohner Bayerns ist in Bayern geboren. Nach dem 1991 vom statistischen Landesamt durchgeführten Mikrozensus leben 60 Prozent der Ausländer bereits zehn oder mehr Jahre in der Bundesrepublik.“8

Anfang August meint Ministerpräsident Stoiber, bei der Argumentation des Bonner Koalitions-
partners FDP, ein Einwanderungsgesetz mit festen Quoten sei sinnvoll, da durch die Überalterung der Gesellschaft sonst die Sozialkassen ausbluten würden, handele es sich um eine „Sprechblase“. Viel besser sei da eine längere Lebensarbeitszeit der bundesdeutschen Ureinwohner. Stoiber meint, seine Argumentation sei ein toller Beitrag gegen Xenophobie, da eine Diskussion über Einwande-
rungsmöglichkeiten nur die aktuelle „Fremdenängstlichkeit“ schüre. Er bedient und fördert das Ressentiment, das zu bekämpfen er behauptet.

Im September ist die Ausstellung „Fremden begegnen – sich begegnen. Plakate gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ im Garten der Seidlvilla in Schwabing zu sehen.

1994 finden Bundestags- und Landtagswahlen statt. Im Herbst 1993 tauchen in München Flugblät-
ter auf, die, ohne Impressum versehen, alle Vorurteile schüren, die denkbar sind. Das Flugblatt wird zum Teil fotokopiert von Hand zu Hand mit der vom Tenor her beleidigten Bemerkung ge-
reicht „Das wird man doch noch sagen dürfen!“.9

Am 20. Oktober haben eine Million Menschen das „Referendum Doppelte Staatsbürgerschaft“ unterzeichnet.

Eine Telefonkette soll ermöglichen, in kürzester Zeit möglichst viele Menschen mobilisieren zu können. Ab 1. Dezember ist das „Info- und Aktionstelefon gegen Rassismus“ unter 499 12 41 zu erreichen.

Siehe auch „CSU“.


1 Plakat und Titel der Publizistik & Kunst. Zeitschrift der IG Medien 2 vom Februar 1993 und 15 Mahnminuten am 29. Januar 1993 vor dem Bayerischen Rundfunk, Publizistik & Kunst. Zeitschrift der IG Medien 3 vom März 1993, 20.

2 Handgearbeitetes Plakat, etwa 3 × 4,5 Meter. Abgebildet in: Schwabing extra. Zeitung der Schwabinger Friedensinitiative 7/1993, 8.

3 Siehe „Lo Albert. Ein Nachruf“ und „Die Schwabinger Friedensinitiative“.

4 Siehe „Gefundenes Gedicht“.

5 Stadtratte 13 vom März/April 1993, 5.

6 Vgl. Stadtratte 16 vom Sommer 1993, 8.

7 Siehe „Erinnerung an die Gegenwart“ von Josef Singldinger.

8 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 9 vom 30. April 1993, 20 (07).

8 Siehe „merkblatt“.