Flusslandschaft 1993

Frauen

„Frauen-Wahl: Nach Mitteilung der Staatskanzlei hat sich Bayerns Ministerpräsident Max Streibl Ende März dafür ausgesprochen, dass Frauen eine ,echte Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf’ haben sollten. Damit war nicht etwa die von Bayern sabotierte Garantie auf einen Kindergarten-
platz gemeint. Max Streibls Vorschlag ist kostenneutral: Frauen, so der Ministerpräsident, die die Doppelbelastung von Familie und Beruf auf sich nähmen, ,verdienen uneingeschränkte Bewunde-
rung’. Da werden die Herzen der doppeltbelasteten Frauen beim durchschnittlich 17stündigen Arbeitstag aber gleich noch höher schlagen …“1

Schwangerenberatung: Das bayrische Sozialministerium hat, wie die taz Mitte Juli mitteilt, die Beratungsstellen angewiesen, den Namen und die Anschrift ratsuchender Frauen für drei Jahre zu speichern. Nachdem diese Anweisung bekannt geworden ist, zieht sie das Ministerium zurück.

Ultrakonservative Katholiken, sogenannte „Lebensschützer“, bedrohen eine gynäkologische Praxis für ambulante Schwangerschaftsabbrüche im Westend. Frauen solidarisieren sich.2 – Auch Pro Familia, ein gemeinnütziger, überkonfessioneller, parteipolitisch und weltanschaulich nicht gebundener Verein in der Türkenstraße in der Maxvorstadt, wird belästigt. Friedrich Wilhelm Hosemann, der Geschäftsführer des Vereins: „Anfang der 90er wurden wir hier mit einer Mahn-
wache geehrt (lacht): da standen Herrschaften mit Kreuzen und Kerzen auf der gegenüber-
liegenden Seite der Türkenstraße. Hier durften sie nicht stehen, sie hatten die Auflage vom Ordnungsamt bekommen, sie durften keinen behindern, der zu uns kam. Es war zum Glück schlechtes Wetter. Ein November-Schneesturm blies ihnen immer wieder die Kerzen aus. Sie trugen Plakate auf denen >Mörder< stand oder so was ähnliches. Was sie eben immer in ihrer Einfalt behaupten. Das ist so etwas von lächerlich, was sie uns da vorwerfen. Sollen sie sich doch eher einmal ernsthaft mit Beratung auseinandersetzen, versuchen zu verstehen, was wir hier machen. Derartige Aktionen richten sich ja vor allem gegen die Klienten, die zu uns kommen. Die werden dann verschreckt. Das ist es, was uns ärgert. Wir selber sind nicht so leicht aus der Fassung zu bringen.“3

„Geld statt Arbeit: Die Deutsche Aerospace (DASA) bietet den Frauen, die am Ende des betrieblich vereinbarten Erziehungsurlaubs von ihrem Rückkehrrecht auf den alten Arbeitsplatz Gebrauch machen wollen, statt dessen Geld an. Und versucht so, sich an Zusagen vorbeizumogeln. Irmgard Spahl, Metallerin und Betriebsrätin bei DASA-Ottobrunn: ‚Wir erfahren davon nur dann, wenn die Kolleginnen sich an uns wenden. Viele unterschreiben den Auflösungsvertrag, weil ihnen das Gefühl vermittelt wird, ihre Rückkehr sei unerwünscht.’“4

„Frauenstreik: Die Vorbereitungen für einen bundesweiten Frauenstreik am 8. März 1994 sind angelaufen. An vielen Orten, auch in Bayern, haben sich Frauengruppen zu Streik-Komitees zusammen geschlossen. Anlass für den Protest: ‚Arbeitslosigkeit und Kürzungen im sozialen Bereich treffen vor allem Frauen mit aller Härte’, so die Münchner Komitee-Sprecherin Ulrike Erhart. Solche Aktionen haben bereits in Island (1971) und in der Schweiz (1991) stattgefunden.“5

Die Mütter gegen Atomkraft (MgA) veröffentlichen in ihrer Zeitschrift Mütter Courage
ein Heft mit dem Schwerpunkt „Frauenbewegung“:
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Allein das Titelbild verstört manche „Mutter“, die Artikel rufen sowohl Begeisterung wie Empörung hervor. Einige „Mütter“ kündigen ihre Mitgliedschaft, andere beantragen sie.

Siehe auch „Gewerkschaften/Arbeitswelt“.


1 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 8 vom 16. April 1993, 20 (07).

2 Siehe „Solidaritätsaktion mit der Praxis Dr. Freudemann im Westend“; vgl. „Wer schützt uns vor den ‚Lebensschützern’“? in: Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ 7 vom Mai/Juni 1993, 10 f.

3 Hella Schlumberger, Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 861.

4 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 22 vom 29. Oktober 1993, 20 (07).

5 A.a.O.

6 Sammlung „Mütter gegen Atomkraft“, Cornelia Blomeyer

Überraschung

Jahr: 1993
Bereich: Frauen

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