Flusslandschaft 1995

Gewerkschaften/Arbeitswelt

Allgemeines
DGB

- Bundesbahn
- Metallbetriebe


Wer Arbeit sucht und wegen seines Alters eine Absage erfährt, für den/die ist dies eine Katastrophe.1

DGB

Am 4. Februar veranstaltet der DGB eine Kundgebung und Demonstration unter dem Motto „Damit Bayern ein Licht aufgeht“. 1.500 Menschen folgen dem Demonstrationsaufruf der DGB-Jugend gegen Ausbildungsplatzabbau.

Beim Aktionstag der DGB-Jugend zum Thema „Jugend braucht Perspektiven und keine luftigen Versprechen“ gehen am 30. November 5.000 Luftballons symbolisch für 5.000 abgebaute Ausbildungsplätze über dem Odeonsplatz in die Luft.

BUNDESBAHN

Die Verkehrspolitik hat in den letzten Jahrzehnten unter dem Motto „Freie Fahrt für freie Bürger“ ein Meinungsklima geschaffen, das ökonomischer und ökologischer Vernunft widerspricht. In den Straßenbau wird investiert und zugleich das Schienennetz ausgedünnt. Seit Jahr und Tag ver-
zeichnen Straßenverkehr und Luftfahrt enorme Zuwachsraten, während der Anteil der Bahn am gesamten Verkehrsaufkommen kontinuierlich zurückgeht. Aus dem Teufelskreis Verlust von Marktanteilen – wachsender Schuldenberg – Investitionsrückstand auszubrechen, ist für die Bahn unmöglich.

Seit 1982 plant der Vorstand der Deutschen Bundesbahn, die Produktivität um vierzig Prozent
zu steigern, den Personalaufwand um dreißig Prozent zu senken und den Gesamtaufwand um fünfundzwanzig Prozent zu verringern. Aber auch dieses „Sanierungs“-Konzept scheitert wie die sechzehn Initiativen zu einer Bahn-Reform zuvor. Die neuen EU-Richtlinien, die in nationales Recht umgesetzt werden müssen, verlangen die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Bahnen, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Verkehrsträgern und die Stärkung der marktorientierten Eigenverantwortlichkeit. Dies soll durch Trennung von Fahrweg und Betrieb, Öffnung des Fahrwegs für Dritte, Unabhängigkeit der Geschäftsführungen und Abbau der Verschuldung und der finanziellen Defizite geschehen.

Durch Befreiung der Verkehrsunternehmen von gemeinwirtschaftlichen Aufgaben sollen marktorientierte Leistungsbringung und Eigenverantwortung gestärkt werden. Privatisierung heißt die Zauberformel.

Zwanzig Tage nach der Privatisierung wird 1995 das Werk in Freimann geschlossen. In Verträgen zwischen Arbeitgebern und der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) wird regional ein Interessenausgleich vereinbart und festgelegt, dass bis zum 31. Dezember 1998 auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet wird und ein Sozialplan mit Abfindungsregularien in Kraft tritt. Wie verhält sich nun die Gewerkschaft zu diesem umfassenden Strukturwandel? Verweigert sie sich, wird die Bahn per Gesetz zerschlagen, behält sie aber ihre Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten, kann sie vielleicht Schlimmeres verhüten.

Im zweiten Geschäftsjahr nach der Privatisierung reduziert sich die Personaldecke der Deutschen Bahn AG (DB) vor allem durch Pensionierungen von 1994 auf 1995 um 6,6 Prozent. Gleichzeitig steigen die Gewinne der DB vor Steuern im selben Zeitraum von 492 Millionen DM auf 550 Millionen DM.

Mit vehementem Widerstand zögert die GdED die Aufteilung in mehrere Aktiengesellschaften (Personennahverkehr, Personenfernverkehr, Güterverkehr, Fahrweg) hinaus und fordert, dass
sich die öffentliche Hand auch in Zukunft nicht aus ihren Verpflichtungen sowohl gegenüber den Beschäftigten der Bahn wie gegenüber der Allgemeinheit stiehlt, sondern Mehrheitseigentümer bleibt. In Verhandlungen erreicht die Gewerkschaft, dass sich die DB verpflichtet, alle Beschäf-
tigten zu übernehmen, bis Ende 1998 keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen und die Sozialleistungen und -einrichtungen zu erhalten. Die neuen Tarifverträge von 1993 stellen Angestellte und Arbeiter gleich, schreiben Frauenförderung fest und garantieren bei gleicher Qualifikation die bevorzugte Einstellung von Frauen. 1995 sichert die Arbeitszeitverkürzung auf achtunddreißig Stunden pro Woche über viertausend Arbeitsplätze.

Deshalb fordert die GdED die weitere Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf fünfunddreißig Stunden, Altersteilzeitarbeit und eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit.

METALLBETRIEBE

Am 23. Februar beginnen die Streiks für Einkommensverbesserungen in der Bayerischen Metallindustrie. In München sind die beiden Betriebe Meiller und Wacker-Werke (Baumaschinen) beteiligt. Die Streikenden bei Wacker führen ein Streikbuch. In diesem Buch wird geschildert, auf welche Schwierigkeiten Streikposten stoßen, wie manche aus der Belegschaft „umfallen“ und wieder andere überhaupt zum ersten Male Courage entwickeln.2 Am 9. März ist der Streik zu Ende. Die bayerische IG Metall hat neben Tariflohnerhöhungen die 35-Stundenwoche durchgesetzt.


1 Siehe „Memento mori“ von Elisabeth Meru.

2 Vgl. Wolf-Dieter Krämer/Wolfgang Kučera (Hg.), Metaller-Streik 1995 bei der Firma Wacker-Werke. Münchener Skizzen 13, München 2001.