Flusslandschaft 1952

KPD

Argumentationen für den Frieden stören die Remilitarisierung und Eingliederung in ein westliches Militärbündnis. Da braucht es mehrere Schritte, um die zu verbieten, die hier am eifrigsten agitie-
ren. Ein neuer politischer Strafsenat urteilt im April am Bundesgerichtshof über die Beschlagnah-
me von fünf Broschüren. Vier propagieren die „gesamtdeutsche Volksbefragungsaktion“, die fünfte stammt von Lenin und heißt „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky“; sie stammt aus dem Jahr 1918. „… Die Beschlagnahmebegründung wurde nie veröffentlicht. In einer jetzt erst aufgefunden Abschrift steht z.B., dass von der bloßen EXISTENZ KOMMUNISTISCHER STAA-
TEN ,auch ohne deren Eingreifen eine SEELISCHE BEDROHUNG der Bevölkerung Westdeutsch-
lands’ ausgehe und dass die Anerkennung der Kommunisten als Verfassungsparteien in Frankreich und Italien nichts besage, da ,das von Kommunisten geführte Russland nicht diesen, sondern dem deutschen Volk besonderes Leid zugefügt’ habe. Nur das Vorsatzblatt wurde für alle politischen Staatsanwaltschaften und Sonderstrafkammern hektographiert: mit den Leitsätzen als „Dienstan-
weisung“: von nun an waren kommunistische Bestrebungen als „Vorbereitung zum Hochverrat“, als „HÖCHSTRICHTERLICH entschieden – GERICHTSBEKANNT – OFFENKUNDIG“, nicht mehr zu hinterfragen und die Prozesse kurz. Da rümpften auch Konservative und das Ausland die Nase über eine solche „LEGITIMATION MIT LUFTWURZELN“. Darin liegt ein Hauptmotiv, das formelle KPD-Verbot zu betreiben …“1

Am 30. Januar stürmt eine 50 Mann starke Einsatzbereitschaft der Polizei des Salvatorkeller. Mit Stahlhelmen und Karabinern ausgerüstet prügeln sie auf echte und vermeintliche Kommunisten ein. Hier „paarte sich eine rechtlich legitime Maßnahme mit der Absicht, widerständigem Verhal-
ten gewaltsam zu begegnen, um keinen Zweifel an der physischen Durchsetzungsmacht der Polizei aufkommen zu lassen.“2

In Absprache mit den Westalliierten plante die Regierung der Bundesrepublik Deutschland die Wiederbewaffnung und die vertragliche militärische Bindung an die NATO. Nach den Vorabspra-
chen auf der Außenministerkonferenz im September 1951 sollte am 26. Mai 1952 der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) unterzeichnet werden. Gegen dieses Vorhaben formte sich ein breiter Widerstand aus linken, kommunistischen und pazifistischen Kräften. Die Regierung der Sowjetunion versuchte mit den ersten sogenannten Stalin-Noten im März und April 1952 die Entwicklung zu stoppen. Die DDR unterstützte die Aktionen der Wiederbewaffnungsgeg-
ner über die KPD, die FDJ und Gewerkschaften. Eine Konferenz von Vertretern verschiedener Jugendorganisationen unter Leitung des dortigen Pfarrers Herbert Mochalski, eines engen Ver-
trauten des hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller, rief zu einer „Jugendkara-
wane gegen Wiederaufrüstung und Generalvertrag“ am 11. Mai 1952 in Essen auf. Am 10. Mai ver-
bietet der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Karl Arnold (CDU), der zugleich Ministerpräsi-
dent ist, die Demonstration mit der Begründung, dass wegen weiterer Veranstaltungen nicht genug Polizeikräfte zur Verfügung stünden. Viele Teilnehmer treten die Heimreise an.

Dennoch finden sich am 11. Mai etwa dreißigtausend Personen ein, die an verschiedenen Orten in Essen kleinere Veranstaltungen organisieren, die jedoch von der Polizei aufgelöst werden. Trotz-
dem formieren sich immer wieder kleinere Demonstrationszüge rund um die Grugahalle in der Essener Norbertstraße, die gegen den Generalvertrag protestieren und zu Verhandlungen mit der Regierung der DDR auffordern. „Das war für die Befehlshaber der Polizeitruppen zuviel. Schreiend hetzten sie ihre Hundertschaften mit Gummiknüppeln und Hunden auf uns. Die Polizisten hatten jede Kontrolle und Beherrschung verloren. Wie wild und zum Teil mit wutverzerrten Gesichtern stürzten sie sich auf uns und prügelten hemmungslos drauflos. Wer nicht schnell genug weglaufen konnte oder gar hinfiel, wurde von mehreren Polizisten mit Knüppeln und Fußtritten zum Teil bis zur Bewußtlosigkeit traktiert und dann auf bereitstehende Mannschaftswagen verladen … Die Menschenjagd zog sich durch alle Straßen in der Nähe der Gruga. Die Polizisten bewegten sich zuletzt nur noch wie Marionetten, die hemmungslos auf alles einprügelten, was ‘verdächtig’ er-
schien.“3 Schließlich erteilt Kommissar Knobloch Schießbefehl auf die Demonstrierenden, später wird behauptet, diese hätten auf die Polizei geschossen, die dann dazu gezwungen gewesen sei, das Feuer zu erwidern. Zwei Kugeln eines Polizisten treffen den einundzwanzigjährigen Münchner Eisenbahnarbeiter Philipp Müller von hinten, eine davon sein Herz tödlich. Müller ist Vater eines fünfjährigen Sohnes. Durch Polizeikugeln schwer verletzt werden außerdem der Sozialdemokrat Bernhard Schwarze aus Kassel und der Gewerkschafter Albert Bretthauer aus Münster. Die KPD veranstaltet noch am gleiche Tag, am 11. Mai, im Zirkus Krone an der Marsstraße 43 eine Gedenk-
feier für Philipp Müller. Eintausendfünfhundert Menschen sind anwesend. Am 17. Mai versam-
meln sich über 5.000 Menschen zu einer Trauerfeier am Münchner Westfriedhof.4 Es wären noch viel mehr geworden, wenn nicht die Polizei alle Zufahrtsstraßen nach München großräumig über-
wacht hätte und „verdächtige“ Fahrzeuge kontrolliert und zurückgewiesen hätte.

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Martin Löwenberg spricht bei der Trauerfeier für Philipp Müller in München.

(zuletzt geändert am 15.1.2021)


1 Hans-E. Schmitt-Lermann, Vorträge zur Geschichte der KPD nach 1945, Marburg 2019, 44 f.

2 Gerhard Fürmetz: Polizei, Massenprotest und öffentliche Ordnung: Großeinsätze der Münchner Polizei in den frühen fünfziger Jahren, in: Christian Groh (Hg.), Öffentliche Ordnung in der Nachkriegszeit, Ubstadt-Weiher 2002, 89.

3 Jochen Mandel: „Als Philipp Müller starb“, in: Heiß und kalt. Die Jahre 1945 – 69, Berlin 1993, 230.

4 Siehe weiteres Foto: KPD-Vorsitzender Max Reimann spricht bei der Beerdigung von Philipp Müller im Mai 1952, Deutsches Historisches Museum, Berlin. Siehe „Vor 40 Jahren wurde Philipp Müller erschossen!“ von Martin Löwenberg und „Rede anlässlich des fünfzigsten Todestages auf dem Friedhof Aubing am Grab Philipp Müllers“ von Siegfried Benker.

5 KAZ. Kommunistische Arbeiterzeitung 228 vom 20. März 1992, 13.