Materialien 1969
Was wollen denn die verdammten Langhaarigen – die solln doch erst mal arbeiten!
Studium ist auch Arbeit. Das Schlimme ist nur, daß man noch um das Handwerkszeug und den Arbeitsplatz kämpfen muß. Wenn man seine Gebühren bezahlt hat (zwischen 150 und 200 DM im Semester), dann muß man feststellen, dass viel zu wenig Plätze in den Bibliotheken vorhanden sind. In den Vorlesungen muß man oft über einem Treppenplatz froh sein, wo man auf den Knien mitschreiben kann. Wenn man mit demProfessor reden will, wartet da eine lange Schlange von Studenten, und man muß sich kurz fassen, wenn man endlich dran ist. Es ist also von ailem zu wenig da: zu wenig Bücher; zu wenig Räume, zu wenig Professoren und andere Lehrer – nur scheinbar zu viele Studenten. Aber gerade das stimmt nicht: auch Studenten sind nicht genügend da. Die Universitäten kommen dem Bedarf der Gesellschaft an gut ausgebildeten Fachkräften nicht mehr nach.
Die machen sich auf unsere Kosten ein schönes Leben.
Es stimmt: das Studium kostet die Steuerzahler einiges. Für jeden Studenten – auch wenn es der Sohn vom Krupp ist – wird aus der Steuerkasse pro Jahr ….. DM gezahlt. Nur die meisten arbeiten hart, und unter erheblichem Druck. 25 % verdienen sich mit den verschiedensten Arbeiten den ganzen oder einen Teil des Lebensunterhaltes. Weil das aber schwer durchzuhalten ist und wegen der unmöglichen Verhältnisse auf der Universität kommen ein Drittel der Studenten nicht bis zum Abschluß. D.h. die haben dann überhaupt keine vernünftige Ausbildung, was nicht nur ihnen, son-
dern der ganzen Gesellschaft schadet. Damit werden in Wirklichkeit die Steuergelder verschleu-
dert.
Wir glauben, daß Arbeiter solche Verhältnisse schon längst nicht mehr geduldet hätten.
Protestieren ist ja ganz schön, aber was die machen, ist das letzte.
Mit den Studenten war es so: alle haben geschimpft, aber nur als einzelne. Wenn einer abgehen mußte, hat sich niemand für ihn eingesetzt. Es gab keine Solidarität. Es wurden natürlich Reso-
lutionen darüber verfaßt, daß sich etwas ändern muß und höflich an die Kultusministerien und an die Zeitungen gegeben. Aber das hat keinen Menschen beeindruckt.
Aber wenn die Uni besetzt wird, dann kann daran keiner vorbeischauen.
Natürlich kann man über manche Aktionen streiten, es war auch nicht immer alles kühl erwogen, weil sich zu viel Wut angesammelt hatte. Aber immerhin wurde erreicht, daß jetzt alle wissen und zugeben, daß an den Universitäten etwas faul ist.
Deren Mist geht uns Arbeiter doch nichts an!
Die Universitäten (Professoren und Studenten) waren in den letzten Jahrzehnten die braven Die-
ner der Oberschicht. Jetzt fragen die Studenten erstmals: Wen interessieren eigentlich die „un-
geheueren“ Probleme, die man wissenschaftliches Studium nennt? In wessen Interesse wird eigentlich der Stoff festgelegt, den wir zu verdauen haben? Und vor allem: für wen werden wir später dieses Wissen anzuwenden haben? Für wen sollen wir forschen, wenn wir fertig sind? Warum sind nur 5 % von uns aus Arbeiterfamilien? Warum bestimmen in den Universitäten, in den Betrieben, überhaupt an allen wichtigen Stellen nur die Vertreter des Kapitals? Solche Fragen aber sind in der BRD, bei der Regierung usw. unbeliebt. Diese Fragen sollen möglichst schnell wieder verstummen, bevor die Arbeiter und Gewerkschaften bemerken, dass sich vielleicht all-
mählich eine Studentenschaft entwickelt, die sich auf die Seite der Arbeitenden schlagen wird. Es war so praktisch, dass bisher die Ärzte, Lehrer, Ingenieure sich ganz zweifellos zur herrschenden Klasse zählten und darum immer in diesem Sinne wirkten. Es könnte sehr unpraktisch für das jetzige System werden, wenn sich da ein ganz neues Bündnis herausbilden würde, wenn z.B. Ar-
beiter und Ingenieure eines Betriebes anfangen, an einem Strang zu ziehen und sich nicht mehr vom Unternehmer (der beide ausbeutet) gegeneinander ausspielen lassen.
Da muß endlich Ordnung geschaffen werden!
Das stimmt, wir wollen auch eine ordentliche Universität. Es wird aber sicher jeder zustimmen, daß es darauf ankommt, wer die Ordnung schafft und wie und wozu. Wir wollen keine Universität, auf die nur die Vertreter der Unternehmer Einfluß haben (S. „Wer verdient an der Forschung?“), nicht aber die Vertreter der Arbeitenden. Der Kampf darum hat gerade erst begonnen. Den werden wir aber nicht allein bestehen können!
A + S. Arbeiter und Student. Herausgeber: Gewerkschaftlicher Arbeitskreis der Studenten 3 vom 30. April 1969, 2.