Flusslandschaft 1998

Gedenken

1998 wird ein Weg zwischen Ludwigstraße und Kaulbachstraße nach Walter Klingenbeck benannt. Klingenbeck wurde mit 19 Jahren in Stadelheim am 5. August 1943 hingerichtet.1

„»Dicke Nebeldecke« über Dachau – Kürzlich berichtete der »Spiegel« über die Probleme Dachaus mit der Vergangenheit. In einer Broschüre heißt es, dass man von den schrecklichen Dingen um das Konzentrationslager nichts gewusst und über den Geschehnissen eine »dicke Nebeldecke« ge-
legen habe, »die für den einfachen Mann auf der Straße fast undurchdringlich war«. Nur das »un-
bewiesene, dumpfe Gefühl«, dass da »Furchtbares« geschehe, habe die Dachauer gepeinigt, heißt es in der vom »Spiegel« zitierten Broschüre der Stadt Dachau. – Der warnende Satz: »Halt’s Maul, sonst kommst’ nach Dachau« war im ganzen Reich bekannt, nur die Dachauer selbst haben offen-
sichtlich nichts davon gewusst. Die »dicke Nebeldecke« scheint so dicht zu sein, dass darin auch die Erinnerungen verschwunden bleiben. Etwa die Erinnerung daran, dass die Geschäfte und Be-
triebe Dachaus vom Lager bzw. dem Lagerpersonal ganz gut lebten. – Und in einer Dokumentati-
on der »Reichsjugendführung« von 1941 findet sich ein SD-Bericht mit einer weiteren Klage über »Furchtbares«, das sich da um das Lager herum abspielte: »In Dachau klagt die Bevölkerung darüber, dass man nicht mehr spazieren gehen könne, da in den Anlagen die Bänke und zum Teil auch die Rasenflächen von Soldaten mit Mädchen belegt seien. Die städtischen Anlagen in der Nähe des Lagers seien mit Verhütungsmitteln übersät.« Unordentliche Zeiten waren das … Mi-
chael Hepp“2

Am 6. August führt die Schwabinger Friedensinitiative gemeinsam mit dem Münchner Friedens-
bündnis
53 Jahre nach „Hiroshima“ eine Gedenkveranstaltung durch.3

In seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche spricht Martin Walser am 11. Oktober von „Auschwitz als Moralkeule“. Es entbrennt nicht nur in den Medien eine heftige Diskussion. Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentral-
rats der Juden in Deutschland, bezeichnet Walser als „geistigen Brandstifter“, der die Sprache der Rechtsradikalen spreche. Carl Amery meint dazu: „Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich die ganze Sache relativ wenig interessiert, weil beide Herren von einem Begriff der Normalität ausge-
hen, der in Hinsicht auf das, was Hitler darstellt, von vornherein falsch ist. Die Sorte Barbarei, die Hitler angeboten hat, wird mit Sicherheit im nächsten Jahrhundert wieder angeboten werden. Wir müssen uns fragen, ob die Normalität, in der wir leben, uns darauf vorbereitet, damit umzugehen. Es wird dann nicht mehr um Juden gehen. Hitler war ein hundertprozentiger Darwinist. Sein Trick war, zu sagen, so arbeitet die Natur, und wir sind die Herrenrasse, die das zu verantworten hat. Die Standpunkte von Bubis und Walser wären leicht zu versöhnen, wenn man sich klar würde, dass die Hitler-Formel demnächst globalisiert wird. Das müßte auch Herrn Bubis klar sein. Nur: Wer die-
sen Antagonismus in den nächsten 30, 40 Jahren trägt, ist noch nicht klar.“4

Am 15. Oktober zeigt Katrin Seybold ihren Dokumentarfilm »NEIN! Zeugen des Widerstandes in München 1933 — 1945« im ARRI-Kino in der Türkenstraße 91. Es sprechen die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Barbara Distel, und die Schriftstellerin Inge Jens, Jörg Hube liest Briefe von Widerstandskämpfern. Es ist nachgerade ein Wunder, dass der Film fertiggestellt werden konnte. „Der Film ist entstanden, OBWOHL es im Kulturreferat eine Abteilung für Filmförderung gibt, die in diesem Fall aber eher eine Abteilung für Filmverhinderung gewesen ist.“5

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Achtzig Jahre „Münchner Räterepublik“: Am 7. November findet um 11 Uhr an der Bavaria eine Demonstration zur Erinnerung an den 7. November 1918 statt. Gefordert wird unter anderem „Kurt Eisner in die Ruhmeshalle“.7

Am 9. November findet um 18 Uhr eine Mahnwache vor der ehemaligen Synagoge in der Herzog-Max-/Maxburgstraße anlässlich des 60. Jahrestags der Reichspogromnacht statt. In einem Zelt auf dem Odeonsplatz werden in einem Kulturprogramm mit Lesungen und ZeitzeugInnengesprächen auch Filmdokumente vorgeführt. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) hält eine Mahnwache vor dem Alten Rathaus ab.

(zuletzt geändert am 28.2.2021)


1 www.munchen.de/ba/03/ba_info/gedenktage.htm

2 Ossietzky. Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/Wirtschaft 15 vom 8. August 1998, 478; vgl. dazu auch „Nach dem KZ ins Hofbräuhaus“ in: Der Spiegel 21 vom 18. Mai 1998, 86 ff.

3 Vgl. Münchner Lokalberichte 16 vom 13. August 1998, 8.

4 Abendzeitung vom 15. Dezember 1998, 6.

5 Süddeutsche Zeitung 237 vom 15. Oktober 1998, L3.

6 Plakatsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

7 Siehe „Provisorischer Revolutionärer Zentralrat der Münchner Linken und Initiativen“.