Flusslandschaft 1999
Bürgerrechte
Mobbing und sexuelle Belästigung durch männliche Kollegen treiben die junge Polizeibeamtin Sil-
via Braun am Sonntag, 14. Februar, zum Selbstmord. Sie erschießt sich mit ihrer Dienstwaffe an der Autobahn zwischen München und Augsburg. Am 11. Dezember findet in der Seidl-Villa eine Veranstaltung zum Thema „Tod einer Polizistin. Die Geschichte eines Skandals“ statt. Veranstalter sind die Humanistische Union (HU) und der Hoffmann und Campe Verlag, in dem vor kurzem ein Buch mit dem selben Titel von Dieter Schenk erschienen ist. Das Buch handelt von einer jungen Polizistin, die von ihren Kollegen auf der Station systematisch gemobbt wird, bis sie keinen Aus-
weg mehr sieht und sich mit ihrer Dienstpistole erschießt. Es basiert auf vier wahren Fällen, die in den letzten Jahren in der Bundesrepublik passiert sind. Schenk, selbst ehemaliger Kriminalbeam-
ter und zuletzt Kriminaldirektor beim BKA, stellt sein Buch vor und diskutiert darüber mit drei weiteren Podiumsteilnehmern, Margit Braun, Mutter von Silvia Braun, Rechtsanwalt Dr. Thomas Etzel und Wolfgang Jandke, Polizist in München und wie Dieter Schenk Bundesvorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten. Jennifer Clayton-Chen von der HU München moderiert den Abend.1
Noch in den 70er und 80er Jahren war der öffentliche Raum eher Freiraum, jetzt werden Aufent-
halte behördlicherseits immer häufiger kontrolliert und eingeschränkt.2
„Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma fordert im April erneut vom bayrischen Innenmini-
sterium und von den Polizeibehörden die ihre Minderheit betreffenden ‘Sonderdateien’ des Frei-
staates zu vernichten; immer noch hält allein die bayrische Polizei bei Personenbeschreibungen an Kategorien wie ‘Sinti/Roma’ fest; außerdem, so der Vorsitzende des Zentralrats, Romani Rose, werden ‘ohne Rechtsgrundlage sogar Autokennzeichen, Familienverhältnisse und andere sensible Personendaten’ von Sinti und Roma polizeilich erfasst; nicht einmal die Kritik der Datenschutzbe-
auftragten in Bonn und München vermögen das bayrische Innenministerium zum Einlenken zu bewegen, wie die trotzigen Erklärungen des Innenstaatssekretärs Regensburger (CSU) verdeutli-
chen: ‘Eine Sondererfassung von Sinti und Roma gibt es nicht. Es gibt lediglich die erkennungs-
dienstliche Erfassung verdächtiger Personen unter dem Begriff ’Sinti/Roma’. Diese ist weder rechtswidrig noch rassistisch’; die bayrische Polizei rechtfertigt ihre Datenspeicherung als ‘vorbeu-
gende Verbrechensbekämpfung’, denn ‘Sinti und Roma könnten eine öffentliche Gefahr sein’ “3 – „Die ‘New York Times’ druckt am 16. April einen öffentlichen Appell an den bayrischen Minister-
präsidenten Edmund Stoiber (CSU) ab, worin die Initiative ‘Internationale Künstler gegen Rassis-
mus’ den beispiellosen Umgang der bayrischen Polizei mit persönlichen Daten von Sinti und Roma im Freistaat anprangert; zu den Unterzeichnern der Initiative bzw. zu den Unterstützern der Inter-
essen der Minderheit zählen zahlreiche Prominente wie Vanessa Redgrave, Senta Berger, Armin Müller-Stahl, Johannes Mario Simmel, Siegfried Lenz sowie die bayrischen Landtags-GRÜNEN; 11.000 bis 12.000 Sinti und Roma in Bayern sind wahrscheinlich alle in polizeilichen Datenbanken samt ihrer ‚Rassenzugehörigkeit’ (‘Personentyp Sinti/Roma’) registriert; ‘Das darf es nicht geben, das ist Rassismus pur!’ beklagt Romani Rose und Gerd Weiskirchen, Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), stimmt ihm bei.“4
26.000 Bürgerinnen und Bürger haben das Volksbegehren „Unabhängige Richterinnen und Rich-
ter in Bayern“ beantragt. Innenminister Günther Beckstein erkennt im Dezember im Text des Be-
gehrens „sachlich verschiedene Anliegen“ und lehnt die Durchführung eines Volksentscheides ab. Nun muss der bayrische Verfassungsgerichtshof entscheiden, dessen Mitglieder in der Mehrzahl auf dem Ticket der CSU ihren Posten bekamen.5
1 Siehe www.humanistische-union.de/publikationen/mitteilungen/hefte/nummer/nummer_detail/back/mitteilungen-173/article/tod-einer-polizistin/ und Siegfried Krempel: „Münchner Polizeiskandale. Unheimliche Ordnungshüter in der heimlichen Hauptstadt“ in Bürgerrechte & Polizei/CILIP 64 (3/1999), www.cilip.de/ausgabe/64/muenchen.htm.
2 Siehe „Platzverweise …“ von Titus Simon.
3 Robert Schlickewitz, Sinti, Roma und Bayern. Kleine Chronik Bayerns und seiner „Zigeuner“, 2008, www.sintiromabayern.de/chronik.pdf, 168 f.
4 A.a.O., 169.
5 Siehe www.mehr-demokratie.de.