Flusslandschaft 2001

Religion

„Nec tempora perde precando!“ (Verliere keine Zeit durch Gebete!)
Ovid (43 v.u.Z. – 18 n.u.Z.)

Am 4. September meldet die Süddeutsche Zeitung, dass Kirchenmusikdirektor Bernward Bayerle vom Musikamt der Erzdiözese München und Freising ein Konzert mit Stücken von Smetana, Mo-
zart und Bach in der Kirche St. Anna im Lehel untersagt habe, da sämtliche Stücke aus der som-
merlichen Reihe zu „weltlich“ seien.

Am 11. September steht Franz Gans in einem Elektronik-Fachmarkt und sucht in der CD-Abteilung nach Musik von Jan Garbarek. Zunächst wundert er sich, dass immer mehr Menschen, vor allem Männer, in Scharen vor der langen Reihe der flackernden Fernseher stehen, bis er erkennt, dass die immer gleichen Bilder der zusammenstürzenden Twin Towers die glotzende Menge fasziniert. Schnell verlässt er den bizarren Ort. Am Abend spricht der Freundeskreis über die Tat, die mut-
maßlichen Täter und ihre Motive. Franz wird grundsätzlich: „Das sind Hunderte wenn nicht Tau-
sende, die sterben. Manche werden erst an den Spätfolgen krepieren. Da behaupte ich, Gott ist doch allwissend, allmächtig und allverzeihend. Aber! Wenn er allwissend und allmächtig ist, ist er nicht allverzeihend. Wenn er allverzeihend und allmächtig ist, ist er nicht allwissend. Und wenn er allwissend und allverzeihend ist, ist er nicht allmächtig!“ Ursula gibt dem Gedanken eine Wen-
dung: „Ich vermute, Gott ist ein Sadist, der Vergnügen daran hat, wenn sich die, die an ihn glau-
ben, gegenseitig den Schädel einschlagen.“

Lehrer Riggenmann hat sich durchgesetzt. In seiner Klasse muss das Kruzifix abgehängt werden.1


1 Siehe „Ich habe mein Rückgrat nicht durchs Kreuz ersetzt …“.